0368 - Der Henker kam nach 20 Jahren
er.
Ich blickte in das entstellte Gesicht.
»Er wurde aus dem Hudson gefischt.«
»Nein, ich glaube nicht, daß es der Mann ist, den wir suchen. Er scheint tatsächlich viel älter zu sein.«
Ich war froh, als der Beamte die Lade zuschob.
»Sollen wir Sie anrufen, wenn jemand eingeliefert wird, auf den die Beschreibung paßt?«
»Ja, Sie erreichen mich über das FBI.«
Draußen zündete ich mir eine Zigarette an. Solange ich den Jungen nicht in einer der Schubladen fand, bestand die Aussicht, ihn lebend zu finden. Aber ich hatte keinen anderen Anhaltspunkt als die Hot-Water-Inn.
Am frühen Nachmittag kreuzte ich in Troughs Laden auf. Zwar dudelte auch zu dieser Stunde die Music-Box schon auf Hochtouren, aber niemand zappelte, sich auf der Tanzfläche ab. Nur an zwei oder drei Tischen saßen Jugendliche.
Trough stand, wie auch gestern, hinter der Theke und zog bei meinem Anblick ein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen.
Ich nickte ihm zu und steuerte einen Tisch an, an dem drei Jungen und ein Mädchen saßen. Dem Girl hingen die Haare wie ein Fransenvorhang vor dem Gesicht. Es hatte sich an einen breitschultrigen, untersetzten Jungen gelehnt, der mit den beiden anderen Tric-Trac spielte, ein primitives Kartenspiel.
Ich sagte »Hallo« und zog mir einen Stuhl heran. Sie blickten von ihren Karten auf. Das Girl wischte sich mit einer Handbewegung die Fransen aus dem Gesicht.
Der untersetzte Boy brummte: »Soweit ich sehen kann, Mister, sind in diesem Laden noch ’ne Menge Tische frei.«
»Das sehe ich selbst, aber, ein leerer Tisch nützt mir nichts.«
»Sie sind doch einer von den beiden Bullen, die gestern hier herumtobten? Wollen Sie jetzt jeden Tag herkommen?«
»Wenn ihr mir helfen würdet, wäre es nicht nötig.«
Einer der beiden anderen Jungen, ein blonder Achtzehnjähriger, sagte: »Fred, wenn der Cop nicht aufstehen will, können wir uns ja an ’nen anderen Tisch setzen.«
»Ist es wahr, daß Sie G.-man sind?« fragte das Girl. »Gestern erzählte man, Sie wären vom FBI?«
»Es stimmt. Ich bin FBI.-Agent.« Links neben dem Untersetzten saß ein dicklicher Boy mit rundem Gesicht.
»Stimmt es, daß jeder von euch allein auf ’ne ganze Gang losgeht?« fragte er.
»Nur, wenn es sich nicht anders machen läßt.«
»Angabe!« knurrte Fred, der Anführer.
Ich nahm die Brieftasche heraus und legte fünf Zwanzig-Dollar-Noten auf den Tisch.
»Für euch, falls ihr euch entschließen könnt, mir zu helfen«, sagte ich.
Fred verzog das Gesicht.
»Sie irren sich, wenn Sie glauben, wir ol.’.-n jemanden, noch dazu für lumpige hundert Dollar.«
Ich lächelte.
»Du irrst dich. Ich verlange von euch nicht, daß ihr einen von euch verpfeift. Selbstverständlich bin ich nicht begeistert von eurer Art der Lebensführung, und ich fürchte, ihr habt eure Finger schon in Sachen gesteckt, die gesetzwidrig sind, aber es geht heute nicht um euch. Mehr als hundert Dollar kann ich leider nicht bieten. Ich lege das Geld aus meiner eigenen Tasche auf den Tisch. Das FBI setzt keine Belohnungen aus.«
»Kommt ihr mit eurer großartigen Tüchtigkeit nicht weiter?« erkundigte sich Fred spöttisch. »Müssen Sie zahlen?«
»Genau das«, antwortete ich. »Ohne eure Hilfe komme ich nicht weiter, denn es geht um einen von euch, und ich weiß nicht, wie ich ihn ohne eure Hilfe finden soll.«
»Wir sollen also doch singen. Damit liegen Sie schief, G.-man. Geben Sie die Hoffnung auf!«
»Das kann ich nicht. Der Junge, den ich suche, ist für einen Job angeheuert worden, von dessen Bedeutung er keine Ahnung hat, und er weiß auch nicht, daß dieser Job ihn in Lebensgefahr bringt. Er hat alle Aussichten, ermordet zu werden.«
Sie schwiegen einige Sekunden lang. Dann sagte der Blonde:
»Alles Bluff!«
»Wie sieht er aus?« fragte das Mädchen plötzlich.
Fred fuhr sie an:
»Halt den Mund!«
»Er kann höchstens zwanzig Jahre alt sein. Ich glaube, nach euren Begriffen sieht er nicht besonders gut aus. Er ist schmal, hat Sommersprossen und rote Haare. Trough meint, er sei nur einmal in der Hot-Water-Inn gewesen, aber er sagt auch, er könne sich nicht an alle Gesichter erinnern.«
Der Anführer brummte:
»Ich jedenfalls kenne keinen Burschen, der so aussieht, wie Sie ihn beschreiben, G.-man. Auf meine Hilfe brauchen Sie also nicht zu rechnen.« Er sah den Blonden an und grinste: »Wie steht’s mit dir, Chris?«
»Für mich bleibt ein Bulle ein Bulle«, antwortete der Blonde und blickte mich
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