037 - Das Geheimnis der Knochengruft
mehr zu erkennen.
Ihre Oberarme waren angenagt, als hätten Tausende Piranhas ihr Werk
verrichtet. Der Knochen war blank und weiß. Ein Gesicht gab es nicht mehr, nur
ein Totenschädel grinste die Betrachter an.
Vorhanden war nur noch das Fleisch über den Schulterknochen und der schön
gewölbte Busen.
●
»Bertrand?«, fragte Armande de Moulliere flüsternd. »Wie kommen Sie
hierher? Ich habe Sie doch in das Haus gehen sehen.«
Bertrand Roussell lachte heiser. »Und ich habe Ihren Schatten am Fenster
gesehen. Sie schliefen also noch nicht. Ich habe Sie beobachtet, bin Ihnen
gefolgt und habe Sie schließlich kurz vor Erreichen der Garage überholt. Im
dichten Nebel war das keine Schwierigkeit.«
»Was soll das ganze Theater? Hat mein Vater Ihnen den Auftrag gegeben, mich
zu bespitzeln?«
Der Gärtner schüttelte den Kopf. »Sie müssen mir helfen.« Er ließ die
erhobene Rechte langsam sinken und streckte sie nach vorn, direkt auf den
jungen Vicomte zu. »Ich weiß, Sie allein können es. Ich möchte nicht, dass Ihr
Vater es sieht ...«
Wie hypnotisiert starrte Armande auf den Unterarm, den Bertrand Roussell
entblößte. Deutlich waren in der dunklen Garage die hellen, weiß schimmernden
Flecken auf der Haut zu sehen.
Armande erkannte es mit einem Blick, und der Schlag seines Herzens
beschleunigte sich. Kleine Löcher durchsetzten die Haut, an verschiedenen
Stellen schimmerte der Knochen durch.
»Wie kommen Sie zu dieser Verletzung, Bertrand?« Armandes Stimme vibrierte.
»Das ist unwichtig. Helfen Sie mir! Sie können es.«
»Nicht hier. Ich habe die Medikamente, die ...« Erstaunt sah er erst jetzt,
was der Gärtner in der linken Hand trug.
Eine schwarze Tasche – prall gefüllt! Armande de Moullieres Tasche!
»Wie kommen Sie dazu?«, flüsterte er heiser und streckte die Hand aus, um
sein Eigentum an sich zu nehmen.
»Ich habe sie in der Stadt geholt.« Bertrand Roussell öffnete sie.
Armande sah die medizinischen Instrumente, den kleinen Plastikbehälter, der
die Injektionsnadeln, die Ampullen und die Kolben enthielt.
»Behandeln Sie mich! Es sind die Anfangssymptome ... Sie sehen es selbst.
Noch können Sie mir helfen.«
»Dazu müssen Sie mir die Tasche aushändigen!« Armande versuchte, seiner
Stimme Festigkeit zu verleihen.
Der Gärtner schob ihm die Tasche herüber. »Ich warne Sie«, sagte er. »Hauen
Sie mich nicht übers Ohr! Ich dürfte in diesem Fall der Stärkere sein. Ich
würde nicht davor zurückschrecken, Sie niederzuschlagen. Es geschähe im Sinne
Ihres Vaters. Und Sie wissen, dass ich für ihn alles tue. Alles , verstehen Sie?«
Ja, Armande verstand es – und wusste es auch.
Wie in Trance öffnete er den Plastikbehälter und zog eine Spritze mit einer
hellgelben Flüssigkeit auf. Was war geschehen? Was ging hier vor? Während er
Roussell eine Spritze gab, stellte sich Armande immer wieder diese Fragen und
hörte die Stimme des Gärtners wie aus weiter Ferne.
»Sie tun so, als wüssten Sie nicht, was hinter diesen Mauern vorgeht.
Yvette Revlon hatte einen Unfall. Ich bekam den Auftrag, die Tote wegzuschaffen
und war nicht sehr vorsichtig. Dabei ist es passiert. Aber sie kam nicht durch
... durch das ... mmm«, meinte er, indem er es vermied, einen bestimmten
Begriff auszusprechen.
»Yvette Revlon wurde erwürgt ... Ihre Mutter, die ...« Bertrand Roussell starrte
auf den Kolben, der die Flüssigkeit in der Spritze langsam herabdrückte. Noch
waren zwei Kubikzentimeter des Medikaments enthalten. Er wusste nicht, dass
Armande de Moulliere diese zusätzlich aufgezogen hatte.
Der junge Vicomte schlug plötzlich hart zu. Seine Handkante traf den
muskulösen Nacken des Gärtners mit voller Wucht. Noch während der vor ihm
Kniende lautlos auf die Seite sackte, zog Armande die Injektionsnadel aus der
Vene und nahm sich nicht die Zeit, die Wirkung seines Schlages zu überprüfen.
Er wollte nur weg. Das Auftauchen des Gärtners und die Tatsache, dass sich
die Arzttasche im Besitz des Gärtners befunden hatte, gaben ihm zu denken.
Es gab eine Person, die Armande davon abhielt, das zu unterbrechen, was
sich hinter den alten Mauern abspielte. Nur ihr zuliebe erduldete er den Druck,
der auf seinem Gewissen lastete. Er warf keinen Blick mehr auf die Gestalt am
Boden, stieg in den Wagen und fuhr mit rasantem Tempo los. Armande machte sich
nicht die Mühe, das Tor wieder zu schließen, und es war ihm auch egal, dass die
Bluthunde das Grundstück verlassen konnten.
Armande de
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