037 - Das Geheimnis der Knochengruft
Moulliere holte das letzte aus dem alten Wagen heraus.
Sein einziger Gedanke war: Claudia!
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»Wie konnte das geschehen?« Die Stimme des Arztes war kaum zu verstehen. Er
starrte auf den Amerikaner, als könne der die Antwort geben.
»Strahlenschäden, es liegt auf der Hand. Und Sie wussten davon. Aber es
gibt noch jemand, der von allem wissen muss: der Vicomte. Sie hat ihn gedeckt.
Warum? Was ist in dem Schloss wirklich passiert?« Larry dachte an France Olandy,
an Irene Duval, an Yvette Revlon. Das waren Namen ihm unbekannter Personen. Namen, die ein Schicksal trugen,
und er fürchtete es zu kennen, ohne den Fall gelöst zu haben. Sein nächster
Gedanke galt einer ihm nahestehenden Person: Morna Ulbrandson. Die junge
hübsche Schwedin befand sich in der Höhle des Löwen!
Larry Brent erfasste zum letzten Mal den entstellten Körper der einst so
hübschen Claudia Pascal, und er sah im Geiste Mornas Bild, die den Platz auf
der Totenbahre einnahm.
Überhastet verabschiedete sich X-RAY-3, schärfte vorher dem
verantwortlichen diensthabenden Arzt ein, die Leiche verschlossen und
versiegelt zu halten. Niemand dürfte mit ihr in Berührung kommen.
»Ich muss in die Wohnung der Toten, um mich dort umzusehen«, sagte Larry
Brent, als er neben Perdell im Wagen saß.
Der Kommissar nickte und brachte den amerikanischen Spezialagenten in die
Rue de Vaugirard. Danach fuhr er in sein Büro zurück. Larry bestand darauf, den
stadtbekannten Dienstwagen nicht in der Nähe der Wohnung zu wissen, die er
gründlich zu durchsuchen gedachte. Er eilte die hölzernen Treppen hoch,
erreichte die versiegelte Wohnung, entfernte das Siegel und öffnete mit dem
kleinen Spezialschlüssel, der ihm als PSA-Agent zur Verfügung stand und
praktisch in jedes Schloss passte.
Larry betrat die dunkle Wohnung und schloss die Tür hinter sich. Der
Amerikaner vermied es, das Licht einzuschalten und überzeugte sich, dass alle
Vorhänge zugezogen waren. Dann erst ließ er seine abgeschirmte Taschenlampe
aufleuchten und lenkte den Strahl über den Boden, über die dunklen getäfelten
Wände. Er durchsuchte Schubladen und Schränke, warf sogar einen Blick in eine
durch ein Geheimschloss gesicherte Kassette, dessen Mechanismus er jedoch
verhältnismäßig rasch durchschaute.
Es gab darin einige persönliche Notizen der toten Französin und ein
Päckchen gebündelter Briefe.
Sie waren fast alle in Marseille abgestempelt, aber zwei waren in Marokko
aufgegeben worden. Alle stammten von einem Mann: Armande de Moulliere!
Er sprach von seiner Liebe und seinem Bemühen, ihr zu helfen, wollte sie
glücklich und gesund machen.
Larry gewann durch den Briefwechsel, der eine Zeitlang gedauert hatte
während Armande durch die Lande reiste, seine Studien vorantrieb, seltene
wissenschaftliche Bücher suchte und mit vielen bekannten Koryphäen auf dem
Gebiet der Strahlenmedizin sprach, einen tiefen Einblick in die Romanze zweier
junger Menschen, die ein eigenartiges Schicksal zusammengeführt hatte.
Er erfuhr durch die Zeilen mehr über den Charakter des jungen Paares, als
stundenlange Gespräche offenbart hätten.
X-RAY-3 ging zu der Ablage neben dem alten eisernen Ofen hinüber. Dort
hatte ein Foto des jungen Armande gestanden.
Doch das Bild war verschwunden!
Geräusche vor der Tür schreckten ihn auf. Ein Schlüssel drehte sich im
Schloss, er reagierte sofort und versteckte sich hinter einem schweren
Samtvorhang.
Vorsichtige Schritte näherten sich. Dann eine leise Stimme: »Claudia?
Claudia?!«
Larry hielt den Atem an. Er hörte, wie überall die Türen in der Wohnung
geöffnet wurden.
Dann wurde die Stimme ungeduldiger, nervöser und von Angst erfüllt:
»Claudia?!«
Die Silhouette eines Mannes erschien auf der Türschwelle des Wohnzimmers,
in dem sich der Amerikaner verborgen hielt. Eine Hand tastete zitternd nach dem
Lichtschalter. Schwach brannte das Licht hinter dem rötlich-gelben Schirm der
Deckenlampe.
Durch den schmalen Schlitz der beiden schweren zusammengehaltenen Vorhänge
sah Larry Brent den Fremden und erkannte sofort das Gesicht – Armande de Moulliere!
Der PSA-Agent handelte rasch und trat hinter dem Vorhang vor. Der junge
Vicomte bemerkte den Amerikaner zunächst nicht. Er wurde erst auf ihn
aufmerksam, als dieser dicht neben ihm auftauchte.
Der Franzose wirbelte herum. »Was wollen Sie hier?«, fragte er entsetzt.
Larry ließ sein Gegenüber keine Sekunde unbeobachtet. »Vielleicht das
gleiche wie Sie. Ich nehme an,
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