037 - Die seltsame Gräfin
hielt sich immer noch innerhalb der Grenzen des Gesetzes. Der Doktor war sich aber über die Konsequenzen seiner letzten Handlungen durchaus klar. Er wußte, daß dieses Abenteuer ihn in eine sehr böse Lage bringen konnte. Er wollte es unter keinen Umständen zu einer Aburteilung kommen lassen. Daß er Michael Dorn eingesperrt hatte, gab ihm eine Atempause, einen Aufschub. Bevor die schwerfällige Gesetzesmaschine in Gang kam, würde es noch einige Zeit dauern. Und heute konnte ein Mann, der kurz entschlossen und umsichtig handelte, in vierundzwanzig Stunden von einem Ende Europas zum anderen kommen.
Eine halbe Stunde verging, eine ganze halbe Stunde - er schaute wohl schon zum zwanzigstenmal auf seine Uhr. Endlich erhob er sich und zog eine Schublade in seinem Schreibtisch heraus. Er nahm ein Paar Handschellen heraus und summte vergnügt eine Melodie vor sich hin, als er sie aufschloß.
Dann klopfte er laut an die Tür des Kellerraums und rief den Gefangenen beim Namen. Als er keine Antwort erhielt, schloß er auf und schaute vorsichtig hinein. Er öffnete einen schmalen Schlitz, so daß er auf das Bett schauen konnte. Michael Dorn lag bewegungslos mit dem Gesicht nach unten und hatte seinen Kopf auf den Arm gelegt.
Ohne Zögern ging Tappatt hinein, drehte die steife Gestalt um und durchsuchte schnell die Taschen. In der Hüfttasche fand er die Pistole nicht, sie stak in einer besonderen Tasche innerhalb seines Rocks. Als er den Detektiv durchsuchte, blinzelte dieser und murmelte etwas Unverständliches.
»Das viele kluge Reden ist Ihnen jetzt vergangen, alter Freund«, meinte der Doktor vergnügt.
Er nahm einige Papiere aus der Tasche Dorns und steckte sie in seine eigene. Uhr und Kette ließ er zurück, aber alles, was Michael irgendwie als Waffe hätte brauchen können, sogar das kleine Taschenmesser, nahm er an sich. Als er damit fertig war, legte er seinem Gefangenen die Handschellen an und schaute dann befriedigt lächelnd auf sein Werk. Darauf ging er zum Haus zurück, nahm die Keksschachtel, füllte einen Krug mit Wasser, brachte beides in den Kellerraum und stellte es neben das Bett.
»Sie haben sich leicht übertölpeln lassen«, sagte er, zu dem Bewußtlosen gewandt, »und die Sache ist noch viel einfacher, weil Sie keine offizielle Stellung einnehmen und nur ein paar Freunde haben, die sich um Sie kümmern oder die Polizei von Ihrem Verschwinden verständigen könnten. Und wenn die Polizei auch wirklich alarmiert wird - wo sollte die mit Nachforschungen beginnen?«
Er verschloß die Tür wieder, ging durch das vordere Tor der Umfassungsmauer und sah sich um. Dorn mußte seinen Wagen irgendwo hier in der Nähe gelassen haben, und ein Auto, das im Freien steht, konnte die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich ziehen. Es war auch möglich, daß er nicht allein gekommen war. Aber obwohl der Doktor eine Meile im Umkreis alles absuchte, konnte er nichts entdecken und kehrte müde zu dem Haus zurück.
Die Gewißheit hatte er freilich: nie wieder würde der Gedanke an Michael Dorn wie ein drohendes Gespenst seine angenehmen Zukunftsträume stören.
Er triumphierte.
29
Meine liebe Miss Smith,
ich habe versucht, meinen Assistenten John Wills zu benachrichtigen. Vielleicht hat er auch meinen Brief bekommen, aber es wäre möglich, daß ihn meine Botschaft durch irgendeinen unglücklichen Umstand nicht erreicht hat. Ich wäre Ihnen nun zu großem Dank verpflichtet, wenn Sie ihn aufsuchen und ihm den eingeschlossenen Brief übergeben wollten, der eine genaue Abschrift aller Instruktionen enthält, die ich bereits an ihn absandte. Ich hoffe, daß ich den Aufenthaltsort Miss Reddles gefunden habe und Ihnen morgen weitere Nachrichten senden kann. Aber ich habe es hier mit einem Mann von außerordentlicher Verschlagenheit und Schlauheit zu tun. Miss Reddle ist in Gallows Farm in der Nähe von Whitecomb in Somerset. Wenn Sie im Lauf des nächsten Tages kein Telegramm von mir erhalten, so sitze ich vielleicht - aber gegen meinen Willen - gefangen. Ich habe alle Möglichkeiten überdacht, aber trotzdem könnte es sein, daß ich etwas vergessen hätte, oder es könnten unvorhergesehene Ereignisse eintreten. Würden Sie mir daher den Gefallen tun, den ganzen Tag über in Ihrer Wohnung in der Charlotte Street zu bleiben? Es wäre das beste, wenn Sie Mr. Shaddles bäten, Ihnen den Tag freizugeben. Zeigen Sie ihm, wenn nötig, diesen Brief. Er wird meinen Namen kennen, ich habe vor einigen Jahren seine Bekanntschaft
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