037 - Quellen der Lust + Die Mätresse des Prinzen
für verschwendete Talente zur Rechenschaft zu ziehen.“
Mariah sah den nun angespannten Ausdruck in Jacks Gesicht und erkannte darin die Spuren des ehrgeizeigen Jungen, der er einstmals gewesen war: so vielversprechend, doch zwischen verschiedenen Erwartungen hin- und hergerissen. Und auch seine Brüder waren in der Erzählung des Professors wieder aufgetaucht. Sie sah ihn nun immer mehr als den ewig zur Seite geschobenen, ewig hungrigen, ewig dritten von fünf Söhnen.
Jack spürte Mariahs durchdringenden Blick auf sich und fühlte sich wie ein Schuljunge, den man bei einem Streich ertappt hatte. Er räusperte sich und versuchte, das Thema zu wechseln.
„Um noch einmal auf mein ursprüngliches Anliegen zurückzukommen. Ich muss diesen Winston Martindale finden. Kennen Sie ihn, Professor?“
„In der Tat. Er ist ebenfalls einer meiner ehemaligen Studenten. Doch das war vor deiner Zeit. Versteh mich nicht falsch, er ist auf jeden Fall ein respektabler Mann.
Unterrichtet Philosophie am Magdalene College. Aber als ernsthaften Wissenschaftler kann man ihn nicht beschreiben. Die meisten seiner
‚Unterrichtsstunden‘ hält er abends im ‚Quill and Scroll‘ ab.“
Jack lehnte sich mit einem Ausdruck tiefster Missbilligung zurück. „Vielen Dank, Professor. Ich werde versuchen, Martindale an einem Ort zu treffen, der sich besser eignet, die Angelegenheiten einer Dame zu besprechen.“
„Was ist denn dieses Quill and Scroll?“ Mariah sah Jack fragend an.
„Eine Bierstube, die vor allem von Studenten aufgesucht wird“, informierte sie der Professor.
„Und was unterrichtet ein Professor in einer Bierstube?“, fragte Mercy.
„Nun, da wird er wohl gar nichts unterrichten. Eigentlich sollte er aber Unterrichtsstunden in seinen Räumen abhalten. Hier in Cambridge ist es in der Regel so, dass Professoren sich mit einem oder mehreren Studenten zusammensetzen, damit diese sich über ihre Forschungen austauschen, ihre Ergebnisse präsentieren und bewertet werden können“, erklärte Jack. „Und Martindale ...“
„Hält seine Stunden in einer Gaststätte ab“, setzte Mariah seine Erläuterung fort.
Was ihren potenziellen Ehemann nicht in einem sonderlich guten Licht erscheinen ließ.
Nachdem der Professor sich verabschiedet hatte und sie alle nach oben gingen, sah Mariah, wie Jack mit Hut und Mantel aus seinem Zimmer kam und sich offensichtlich unauffällig davonschleichen wollte.
„Wo gehen Sie denn um diese Zeit noch hin?“ Sie stellte sich ihm in den Weg.
Er starrte auf seine Hutkrempe und wich ihrem Blick aus.
„Sie gehen in dieses Quill and Scroll, stimmt’s?“ Sie deutete sein Schweigen als eine Bejahung ihrer Frage. „Nicht ohne mich!“
„Hören Sie, ich kenne diesen Ort“, sagte er verärgert. „Es ist dort laut, derb und für Damen völlig ungeeignet.“
Bezeichnete er sie nun plötzlich als eine ‚Dame‘, da sie in seiner Achtung gestiegen war oder weil er ihre Begleitung unbedingt verhindern wollte?
„Umso mehr Grund, Sie zu begleiten. Ich muss meine eventuellen Ehemänner in ihrer natürlichen Umgebung sehen, auch wenn diese unschicklich für eine Dame ist.“
Sie drehte sich zu Mercy. „Lass ihn nicht ohne mich weg.“
Die treue Magd stellte sich zwischen Jack und die Treppenstufen, verschränkte ihre beleibten Arme und setzte einen bedrohlichen Blick auf. Kurz darauf kam Mariah mit Hut und Mantel zurück und legte einen Arm um die alte Frau.
„Warte nicht auf mich, Mercy. Du musst nach diesem langen Tag todmüde sein.“
Mercy nickte dankbar.
„Und passen Sie auf sich auf, Miss. Diesen Studenten kann man nicht vertrauen.“
11. KAPITEL
Und so kam es, dass sie und Jack um zehn Uhr abends den lauten Schankraum des Quill and Scroll betraten. Die Luft war rauchgeschwängert, es roch nach verschüttetem Bier und der Raum war vollgestellt mit Tischen und einem Sammelsurium von Stühlen und Bänken, die offensichtlich aus Vorlesesälen stammten. Generationen von aufstrebenden Akademikern hatten ihre Studienjahre auf diesen abgesessenen Bänken vertrödelt und ihre Namen darin eingeritzt.
Man führte sie in die Nähe eines riesigen Kamins, vor dem zwei Gruppen junger Männer in schwarzen Talaren eine lautstarke und wirre Debatte führten. Als sie und Jack näherkamen, sahen sie, dass die Diskussion von einem behäbigen und rotgesichtigen Professor in Talar und Doktorhut moderiert wurde. Auf dem Tisch vor ihm stand ein Abakus, dessen hölzerne Kugeln er mit dicken
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