0372 - Werwolf-Omen
Mädchen lag am Boden. Jetzt konnte ich erkennen, daß die Person noch jung war. Höchstens zwanzig Jahre.
Sie hatte sich auf den Rücken gedreht, ihr Gesicht sah im Licht der Scheinwerfer noch bleicher aus, und deshalb fielen mir auch die großen Augen auf.
Ich kniete neben ihr. »Ist Ihnen etwas passiert?« Es war die übliche Frage, aber ich wußte nicht, was ich sonst hätte sagen sollen.
»Keine Ahnung.« Das Sprechen bereitete ihr Mühe. Den Eindruck hatte ich jedenfalls. Zudem klang die Stimme irgendwie dumpf und kratzig, gar nicht weiblich.
»Verspüren Sie Schmerzen?«
»Kaum.«
»Also doch…«
Sie verzog das Gesicht. Ihr Atem ging schwer und keuchend. »Ein wenig an der Hüfte. Da hat es mich erwischt, verdammt…«
»Sie waren sehr unachtsam.« Ich konnte mir den Vorwurf nicht ersparen. »Zum Glück bin ich langsam gefahren…«
»Ja, ich weiß. Sie trifft keine Schuld, aber ich konnte einfach nicht anders. Es war plötzlich da.«
»Okay, schon gut. Ich helfe Ihnen beim Aufstehen. Dann werde ich Sie in den Wagen legen und mitnehmen.«
»Nein, nicht. Das auf keinen Fall. Ich will das nicht.« Sie wehrte sich mit Händen und Füßen.
Ich schüttelte den Kopf. »Wieso nicht? Ich kann Sie doch nicht einfach liegenlassen.«
»Das müssen Sie aber. Fahren Sie weiter. Kümmern Sie sich nicht um mich.« Ihre Stimme klang drängend und bittend. Sie richtete sich plötzlich auf, drehte sich dabei zur Seite und benutzte meinen Wagen als Stütze.
Ich kam nicht dazu, ihr auf die Beine zu helfen. Sie stand neben mir, als ich mich aufrichtete. Mir fiel auf, daß sie ziemlich groß war und schwarzes Lockenhaar besaß. Die Kleidung war beschmutzt und feucht. Bevor sie auf die Straße getorkelt war, mußte sie wohl neben der Fahrbahn in einem Graben gelegen haben.
Hier ging einiges nicht mit rechten Dingen zu. Betrunken war das junge Mädchen nicht. Aber erschöpft, fertig, als wäre sie gejagt worden.
»Was ist mit Ihnen geschehen?« fragte ich.
»Nichts, gar nichts.«
»Das können Sie mir nicht erzählen. Sie sind erschöpft und ausgelaugt. Ist jemand hinter ihnen her?«
»Ich bin allein.«
»Sie werden verfolgt.«
Für einen Moment wurde ihr Blick starr. Auch glaubte ich, daß sichdie dunklen Pupillen ihrer Augen veränderten und einen gelblichen Funken bekamen.
Das verschwand so schnell wieder, daß ich schon an eine Täuschung glaubte.
Allein lassen wollte und konnte ich das Mädchen nicht. Aber die Kleine stand auf Abwehr. Sie sprach zwar nicht darüber, ich spürte es dennoch. Es war die körperliche Ausstrahlung, die mich traf und die mich dies merken ließ.
Sie ging. Ohne ein Wort zu sagen, stemmte sie sich von der Karosse ab, lief zwei Schritte und schwankte. Zum Glück fiel sie gegen den Wagen, dennoch ging ich zu ihr und hielt sie fest. »Ich glaube, daß es dennoch besser ist, wenn ich Sie mitnehme.«
»Nein, ich…«
»Wo wohnen Sie?« Die scharf gestellte Frage duldete keinen Widerspruch mehr.
»Weiter weg…«
»In London?«
»Nein, in der Nähe…«
»Um so besser. Dann werden Sie mir Bescheid geben, wann ich anhalten muß.« Ich öffnete die Fondtür und schob das Mädchen, dessen Namen ich nicht einmal kannte, hinein. Sie fiel schwer auf den Rücksitz und schloß die Augen. Dann schüttelte sie sich wie in einem Fieberschauer.
Mit dieser Person stimmte einiges nicht. Vielleicht war sie krank.
Und wer lief um diese Zeit schon in der Weltgeschichte herum?
Oder war sie möglicherweise irgendwo ausgebrochen? Aus einer Nervenheilanstalt vielleicht?
»Sie müssen sagen, wenn ich halten oder abbiegen soll«, sprach ich nach hinten.
»Ja, ja…«
Mehr wollte sie nicht sagen. Ich akzeptierte dies nicht und fragte weiter: »Wie heißen Sie eigentlich?«
»Laura Ascot«, erklang es schwach.
»Mein Name ist John Sinclair.« Durch diese Preisgabe hoffte ich, ein wenig Vertrauen bei ihr zu gewinnen.
Sie entgegnete nichts. Dennoch hörte ich sie. Es war ihr keuchender Atem, der mir Sorgen bereitete. So holte nur jemand Luft, dem es nicht gutging.
Ein Wagen kam uns entgegen. Im Innenspiegel bemerkte ich die Bewegung des Mädchens. Laura duckte sich, als hätte sie Angst, von dem Scheinwerferlicht getroffen zu werden. Nachdem der Wagenvorbeigefahren war, kam sie wieder hoch.
»Soll ich sie nicht doch lieber zu einem Arzt bringen?« erkundigte ich mich.
»Weshalb?« fragte sie aggressiv.
»Mir scheint, daß es Ihnen schlecht geht.«
»Nein, nein! Ich habe sie nicht gebeten,
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