0374 - Der Inka-Henker
lachen, als sie sahen, daß es den beiden schlecht ging.
Dann liefen sie zurück.
Pedro stand als erster auf. Er blieb gebückt stehen, hatte die Arme dabei nach unten gestreckt und preßte die Handflächen gegen die aufgescheuerten Knie.
»Mist, verdammter!« fluchte der Zehnjährige wie ein Alter. »Da war doch was!«
»Wo?«
Pedro drehte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht um. Auch der andere Junge stand jetzt. Gemeinsam humpelten die beiden wieder zurück. Die anderen folgten ihnen.
Jeder sah es.
In der Straße und sich über die gesamte Breite ziehend, befand sich ein Riß.
Staunend blieben die Kinder stehen. Der Riß war so breit wie eine Obststeige, außerdem schon recht tief. An den Rändern war der Asphalt zudem aufgeplatzt, so daß sie mehrere Muster sahen, die auch von Spinnennetzen hätten stammen können.
Sie sagten nichts. Die Jungen, sonst um Erklärungen oder Ausreden nicht verlegen, konnten hier nur zuschauen und andächtig schweigen. Das war alles.
Bis sich einer aus der Gruppe löste, in die Knie ging, auch den Kopf vordrückte und das Ohr auf den Boden preßte.
»Was willst du?« wurde er gefragt.
»Sei ruhig!«
Die anderen schwiegen. Auch der Lärm der feiernden Erwachsenen war nicht so besonders laut. Sollte sich etwas anderes in der Nähe befinden, würden sie es auch hören.
»Da ist was in der Erde«, flüsterte der Horchende.
»Und was?« wurde er gefragt.
»So ein Brummen…«
Einer lachte, die anderen jedoch blieben ernst und wollten sich selbst davon überzeugen.
Sie knieten ebenfalls nieder und lauschten mit einem Ohr am Boden.
Und sie nahmen das gleiche wahr, was auch Pedro gehört hatte.
Ein seltsames Brummen und Zittern des Bodens, als würde im Innern der Erde etwas donnern.
Die Kinder erhoben sich zur gleichen Zeit, als hätten sie sich abgesprochen.
»Das ist ein Ungeheuer«, sagte der kleinste von ihnen, ein sechsjähriger Steppke.
Seltsamerweise widersprach niemand.
Und dann hörten sie das Reißen. Sie hatten das Gefühl, als würden gewaltige Hände versuchen, den Boden aufzureißen und den Spalt weiter zu vergrößern.
In der Tat wurde er breiter. Gleichzeitig bildeten sich neue Risse, die von dem größten nach allen Seiten hin abzweigten. An den Stellen, wo welche aufeinandertrafen, platzte sogar der Asphalt auf, so daß eine schwarze teerartige Masse zum Vorschein kam.
Niemand wußte, was da vor sich ging. Pedro hatte dann die Idee.
»Wir müssen es unseren Eltern sagen. Das kann sogar ein Erdbeben sein.«
Von einem Erdbeben hatten schon alle gehört. Sie widersprachen auch nicht. Nur stahl sich allmählich die Angst in ihre Gesichter, so daß die zu bleichen Flecken wurden.
Zwei von ihnen mußten über den Spalt hinwegspringen. Dann rannten sie alle schnell wie selten, denn sie befürchteten, daß die Straße noch mehr aufreißen würde, und so etwas bedeutete auch Gefahr für die hohen Häuser, in denen sie wohnten.
Das spürten selbst die Kinder instinktiv.
Sie schrien. Pedro und der andere verletzte Junge hinkten hinterher, denn sie konnten nicht so schnell laufen. Deshalb erreichten auch sie als letzte die Gruppe der Erwachsenen.
Die anderen erzählten bereits. Sie sprachen laut, ihre Stimmen überschlugen sich, und sie redeten durcheinander, so daß keiner der Leute etwas verstand.
Bis jemand »Ruhe!« schrie.
Da verstummten sie.
»Einer nur«, sagte der Mann, der so etwas wie der Hausmeister in einer der Bauten war. Er hatte sich vor den Kindern aufgebaut, schaute sie streng an und blies ihnen von oben her seinen Rotweinatem ins Gesicht.
Pedro meldete sich. »Ich erzähle, Señor.«
»Aber alles richtig!«
»Si, Señor.«
Er begann mit seinem Bericht. Und er riß sich zusammen, was ihn von den Schmerzen für einige Augenblicke ablenkte. Die Worte »sprudelten« zwar über seine Lippen, aber sie waren zu verstehen, und darauf allein kam es den Männern an.
Die Frauen hielten sich zurück. Nur zögernd kamen sie näher.
Und sie sahen, wie der Hausmeister mit der Faust auf den Tisch schlug. »Was habt ihr gesagt? Die Straße ist aufgebrochen?«
»Si, Si…«
Der Mann drehte sich um. Die anderen wußten nicht, was sie sagen sollten. Einige hielten es dann für ein Märchen.
»Erdbeben gibt es hier nicht«, meinte ein anderer, der einen Tonkrug mit Wein in der Hand hielt.
Im nächsten Moment wurden alle Anwesenden eines Besseren belehrt. Es begann mit dem Knirschen und Reißen. Gleichzeitig bewegte sich auch der Boden unter
Weitere Kostenlose Bücher