0374 - Der Inka-Henker
ihren Füßen. Die Tische und Stühle zitterten, einige fielen um, da sie zu wacklig auf den Beinen standen.
Ein Weinfaß kippte ebenfalls, erste Schreie gellten auf, aber die Menschen befanden sich zum Glück nicht im Zentrum der Gefahr.
Das lag weiter vorn. Und zwar dort, wo die Kinder die aufgebrochene Erde entdeckt hatten.
In der Nähe parkten auch einige Autos. Es sah grotesk aus, wie sich zwei von ihnen auf das Heck stellten und mit der Schnauze in die Höhe zeigten, als wollten sie gegen den dunklen Himmel springen.
Mit einem donnerartigen Schlag steigerte sich das Inferno noch weiter. Asphalt, Dreck, Lehm und Schotter flogen in alle Richtungen weg und prasselten wie ein gewaltiger Regen nieder. Auch die Feiernden wurden nicht verschont. Sie warfen sich in Deckung, krochen unter die langen Tische und hoben Stühle als Schutz über ihren Kopf.
Die Erde grollte.
Und sie entließ den Schrecken.
Einen rötlichen Feuerschein sahen die Mutigen, die trotz des Chaos’ nach vorn schauten, aus dem Trichter stiegen und flackernd über die nahen Hauswände geisterten.
»Die Hölle!« schrie ein Mann überlaut. »Das sind die Flammen der Hölle. Sie werden uns fressen!«
Es war nicht das Höllenfeuer, das sie fressen wollte. Vielleicht ein magisches Flackern, und es hüllte den ein, der aus dem breiten Straßentrichter in die Höhe stieg.
Der Henker kam!
Die unheimliche Figur, die vor langer Zeit aus den Anden nach Spanien geschafft und dort begraben worden war, hatte es in der Tiefe der Erde nicht mehr ausgehalten. Andere Kräfte und Mächte waren stärker gewesen als er und hatten ihn aus der Tiefe an die Oberfläche geholt.. Sie schleuderten ihn in die Höhe.
Vor den entsetzt aufgerissenen Augen der Zuschauer stieg er in den Himmel der Straßenschlucht.
Ein Koloß mit zwei Waffen. Einem Schwert und einer Axt. Eine Figur aus Stein, sogar noch auf einem Sockel stehend und fast so wirkend, wie einige der übergroßen Heiligenfiguren, die in zahlreichen Kirchen ihre Plätze gefunden hatten.
Mit dem Auftauchen der Figur hörten die entsetzten Zuschauer ein hohles Pfeifen, das durch die Straßenschlucht hallte und den Trommelfellen übel mitspielte.
Die Figur stieg hoch und höher. Sie hatte längst die Spitzen der Häuser erreicht, hielt nicht an und jagte weiter, so daß sie auch nicht mehr von den Menschen zu erkennen war, die gute Augen hatten.
Das Dunkel der Nacht verschluckte sie.
Die Zeugen aber, die zugeschaut hatten, waren grau und blaß vor Angst. In ihren Gesichtern stand der Schrecken wie festgenagelt.
Niemand hatte mit einem solch unerklärlichen Vorgang gerechnet, und keiner wußte ihn zu kommentieren.
Sie schauten sich gegenseitig an, bewegten die Lippen oderbekreuzigten sich. Worte konnte niemand sprechen.
Nach einer Weile wurde wieder vom Teufel gesprochen. Dieses Gerücht breitete sich schnell aus. Diskutieren konnten sie nicht mehr, denn die ersten Sirenen jaulten auf.
Polizei und Feuerwehr rasten heran. Die Wagen stoppten auf dem gewaltigen Trichter. Man sprach von einem Erdbeben oder von einer Bombe, aber es gab kaum einen Polizisten, der den Aussagen aller Zeugen glauben würde.
Eine Statue, die aus der Erde geschleudert wurde?
Das gab es höchstens im Kino…
***
Doch die Figur war ebenso echt gewesen, wie es die Hand war, die sich vor unseren Augen aus dem Grab schob.
Eine leicht gekrümmte Klaue mit Hautfetzen, schimmernden Knochenstücken und abgerissenen Nägeln, wie wir trotz der Finsternis erkennen konnten, da die Nacht mittlerweile etwas heller geworden war und sich ein Großteil der Wolken verzogen hatte.
Padre Dorio stand neben mir und zitterte. Ich hörte, wie seine Zähne aufeinanderschlugen, so groß war die Angst, die ihn beherrschte. So etwas hatte er noch nicht erlebt, das war furchtbar und grausam. Es gehörte in den Bereich der Fabel.
Daß dem nicht so war, erlebte er mit eigenen Augen und schaute, wie auch ich, weiter zu, wie der Hand ein Arm folgte, der ebenfalls nur mehr von dünnen Hautstreifen bedeckt war.
Das wiederum wunderte mich.
Auch mich berührte der unheimliche Vorgang auf seltsame Art und Weise, denn das war perfekter Horror. Gleichzeitig dachte ich darüber nach, wie es möglich sein konnte, daß dieser Tote in all den Jahrhunderten nicht vollständig verwest war. Selbst das Skelett hätte nicht mehr vorhanden sein dürfen.
Es gab nur eine Erklärung dafür: Dieser Tote war all die Zeit über mit einer fremden Magie gefüllt gewesen!
Und
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