0383 - Angela, die Teufelin
Tatsachen in ihrer vollen Tragweite erfaßte und weiterdachte. »Selbst wenn wir Rauchzeichen senden oder Fenrir versucht, telepathisch Hilfe zu holen, werden wir niemanden durch die Barriere bringen können. Und wenn von draußen jemand es schafft, hereinzukommen, sitzt er ebenfalls fest.«
Das war Zamorra auch längst klar. Er fragte sich, wer für diese Barriere verantwortlich war. Er hatte mit vielem gerechnet, nicht aber damit, daß jemand auf die Idee kommen könnte, das Château auf diese Weise abzuschotten - einer Aussperrung eine Einsperrung folgen zu lassen.
Wer hat das getan?
Angela?
Zamorra holte tief Luft und wandte sich ihr zu. Ruhig sah das dunkelhaarige Mädchen ihm entgegen.
***
Eine Gestalt bewegte sich durch den Wildpark hinter dem Château. Niemand beobachtete sie, weil sich alle vorn im Hof versammelt hatten, wo die Autos startbereit standen.
Tanja Semjonowa, die untote Vampirlady, die sich bis jetzt verborgen gehalten hatte, folgte unhörbaren Befehlen. Ihr mumienhaft verdorrter Leichnam, von dämonischer Kraft künstlich belebt, schritt auf den derzeit bewohnten Flügel des Châteaus zu. Die Untote verzichtete auf jede Vorsicht. Sie wußte zwar nicht, ob jemand sie beobachtete, aber es war ihr auch egal. Ihr Befehl war eindeutig.
Sie betrat das Haus.
Es gab in ihren vertrockneten, toten Gehirnzellen keine Erinnerung. Zu Lebzeiten war sie nur im ausgebrannten Haupttrakt zu Besuch gewesen. Der Seitenflügel war für sie Neuland. Dennoch fand sie zielsicher ihren Weg. Da war ein Zimmer, und sie betrat es, da es nicht abgeschlossen war. Hätte sie es aufbrechen müssen, wäre der Plan geändert worden. So aber lief alles, wie es sich der Dämon ausgedacht hatte.
Die Untote verbarg sich. Das Warten begann.
Sie kannte keine Ungeduld, denn sie lebte längst nicht mehr. Aber sie kannte ihre Aufgabe, welche keinen Widerspruch duldete. Die untote Vampirlady war bereit, das zu tun, was sie als Lebende verabscheut hatte.
Der Auftrag, den sie ausführen wollte, hieß Mord.
***
Rogier deNoe fühlte sich hin- und hergerissen. Auf der einen Seite erschreckte ihn die Barriere, die den Wagen gestoppt hatte und die auch verhindert hatte, daß Zamorra von der Mauergalerie abstürzte. Zum anderen war da aber etwas in ihm, das ihn dazu brachte, diese Dinge als normal hinzunehmen.
Auf der einen Seite verspürte er den Drang, Zamorra von dem Schwert und den beiden anderen Gegenständen zu erzählen, die er in seinem Koffer gefunden hatte. Zum anderen aber war da etwas in ihm, das ihn daran hinderte und ihm klarzumachen versuchte, daß Zamorra doch ganz andere Probleme hätte, als sich dafür zu interessieren - was ging’s ihn an?
Auf der einen Seite wollte er Zamorra beichten, daß der Spinnenbiß wohl doch keine Halluzination war und daß er vorübergehend einen schwarzen Fleck auf seiner Hand gesehen hatte. Zum anderen aber hielt er es plötzlich wieder für unwichtiger, als wäre im Hafen von Marseille ein Matrose auf einer Banenschale ausgerutscht.
Langsam ging er zum Cadillac, zu diesem weißen, chromblitzenden Heckflossen-Monstrum. Etwas zog ihn zu Raffael Bois, der auf der Rückbank lag. Er konnte sich selbst nicht erklären, weshalb er sich plötzlich so brennend für den alten Diener interessierte. Aber dann beugte er sich über die Flanke des mit offenem Verdeck stehenden Cabrios und betrachtete den alten Mann.
Er sah dessen Hand und erschrak.
Sie war tiefschwarz und verdorrt. Und die Schwärze ging bis zur Hälfte des Unterarms.
Die Ähnlichkeit dieser Schwärze mit dem Fleck, den deNoe auf seiner Hand entdeckt hatte, war unverkennbar.
Und eine eiskalte Hand umkrallte sein Herz und ließ ihn bis ins Mark frieren. Er hatte plötzlich unerträgliche Angst.
***
Fenrir versuchte, die Quelle der Bedrohung zu finden. Er suchte nach bösartigen Gedanken und dämonischer Ausstrahlung. Aber da war nichts. Weder innerhalb der Mauern des Châteaus noch außerhalb.
Aber er hatte ja auch die Spinne nicht als lebendes Wesen erkennen können - nicht die, die deNoe gebissen hatte, und nicht die anderen, die an Tanjas Grab Fenrir angriffen.
Tanjas Grab!
Fenrir entsann sich, daß er Nicole davon berichtet hatte, aber im Strudel der Ereignisse war das in Vergessenheit geraten. Er wollte jetzt noch einmal darauf hinweisen.
Aber er konnte es nicht.
Es war ihm ebenso unmöglich, wie das Aufspüren einer dämonischen Wesenheit.
Bestürzung machte sich in ihm breit. Er kämpfte mit sich.
Und
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