0388 - Der Tote mit meinem Gesicht
Ellbogen das Fenster aufzuwirbeln, kamen aus der Biegung des Hohlweges zwei Gestalten. Es waren die Verbrecher.
Ich drehte mich um und hetzte hinüber zum anderen Fenster. Es lag auf der dem Hohlweg abgewandten Seite. In fieberhafter Eile versuchte ich, den altmodischen Fensterriegel zu erreichen. Es mißlang. Ich konnte die Ellbogen nicht so hochrecken und die Hände schon gar nicht.
Ich nahm den Mund zu Hilfe, packte mit den Zähnen den schmutzigen Knopf des Riegels und hakte den eisernen Flügel aus seiner Krempe. Ohne den Knopf loszulassen, trat ich einen Schritt zurück, zog den rechten Flügel auf, ließ den Knopf fahren, drückte mit der Stirn den zweiten Flügel auf und versuchte dann, die Beine über die Fensterbrüstung zu schwingen.
Schon hörte ich die Stimmen der Verbrecher vor der Tür.
Die Brüstung war hoch. Sie ragte weit über meine Hüften empor. Es war nicht möglich, vorsichtig hinauszusteigen — zumindest nicht in der erforderlichen Eile.
Ich beugte mich hinaus, sah grünen dicken Rasen, schob mich vor — soweit es ging, stieß mich mit den Füßen ab und stürzte hinaus.
Obwohl es nur ein Sprung aus knapp anderthalb Yard Höhe war, gehört Mut zu diesem Unternehmen. Denn ich stürzte mit dem Kopf voran, und die Arme waren mir auf dem Rücken gefesselt. — Im Fallen drehte ich mich etwas und war bemüht, den Aufprall mit der Schulter abzufangen. Es gelang leidlich. Ich bumste nicht mit dem Schädel auf den Boden — wobei ich mir das Genick hätte brechen können — sondern kam mit der Schulter auf, versuchte eine Rolle zu drehen und klatschte dann mit beträchtlicher Wucht auf den Rücken.
Für eine Sekunde blieb ich liegen wie ein verblüffter’ Maikäfer, dann schnellte ich empor in den Stand, sprintete los und warf mich in einen mächtigen Holunderstrauch.
Hinter mir ertönte lautes Gebrüll. Die beiden Gangster waren jetzt in die Hütte eingedrungen und hatten meine Flucht entdeckt.
Zweige klatschten mir ins Gesicht. Etwas Rauhes schrammte über meine rechte Wange. Ich spürte ein Stechen im linken Fußgelenk. Für einen Augenblick wurde mir schwindelig.
Ich riß mich zusammen und drängte durch das Gesträuch. An dem Holunderstrauch kam ich vorbei. Aber dann drohte ich in einer dornigen Hecke hängenzubleiben. Vor mir wuchs Gesträuch auf wie eine undurchdringliche Dschungelwand.
Der Schweiß brach mir aus. Verzweifelt zerrte ich an der Drahtfessel. Aber die Anstrengung war vergeblich. Diese Fessel ließ sich ohne fremde Hilfe nicht sprengen.
Ich blieb stehen.
Zwischen mir und der Hütte lagen bereits etliche Buschgruppen. Es war jetzt so dunkel, daß man kaum drei Schritte weit sehen konnte.
Mühsam zwängte ich mich weiter. Ich suchte nach einem Pfad, auf dem ich schneller vorwärts kommen konnte. Aber nichts war zu sehen.
Tepper und Vazac hetzten hinter mir her.
Ich vernahm das Trappeln ihrer schweren Schritte, das Brechen von Zweigen und das Rauschen der Büsche.
»Ich glaube, hier ist er lang.«
Das war Teppers Stimme, und sie klang verteufelt nahe.
Ich zwängte mich weiter, schob mit dem Kopf dicke Zweige zur Seite, schloß häufig die Augen, um mich an zurückschnellenden Ästen nicht gefährlich zu verletzen.
Plötzlich stolperte ich. Im letzten Augenblick gelang es mir, das Gleichgewicht zu finden. Ich hatte den linken Fuß erhoben, wollte ihn jetzt zu Boden setzen, stieß ins Leere, versuchte ihn zurückzuziehen, was jedoch nicht mehr gelang.
Ich plumpste nach vorn, machte einen Spreizschritt und landete auf weichem, moosigem Boden. Gleichzeitig wichen die Büsche zurück.
Ich stand auf einem schmalen Pfad, der durch die Wildnis der Santa Monica Mountains zu führen schien. Er war etwa einen Yard breit, lag etwas tiefer als das übrige Terrain und verlief — so weit ich sehen konnte — schnurgerade.
Auf gut Glück wandte ich mich nach rechts und spurtete los. Jetzt ging es so schnell, wie ich erhofft hatte. Aber sobald einer der beiden Gangster den Pfad erreicht hatte, würde er vermutlich in noch schnellerem Spurt hinter mir herjagen. Durch die gefesselten Arme war ich behindert. Nur mühsam bewahrte ich das Gleichgewicht.
Ich erreichte eine Biegung. Als ich sie durchlaufen hatte, gelangte ich auf eine große, von hohen Tannen umstandene Lichtung. Auf ihr wuchs hohes Zittergras. Es war so unberührt wie der erste Schnee in einer Winternacht. Sollte ich über die Lichtung rennen? Ich würde eine Spur pflügen wie ein Nashorn. Aber mir blieb nichts
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