0388 - Satans Ungeheuer
für einen Sinn, wenn er sie schnappte, die Vorsicht ihm aber gebot, anschließend sofort wieder die Fänge davon zu lassen? Er wollte nur beobachten.
Er sah schon von weitem die Absperrungen. An der Straßeneinmündung standen die rotweißen Sperrbalken, das Verbotsschild, der Umleitungshinweis und die blinkenden Warnleuchten. Sie flackerten rhythmisch und glichen aus der Ferne Raubtieraugen, die in gleichmäßigen Abständen geöffnet und geschlossen wurden.
Wächter konnte Fenrir nicht erkennen.
Er erreichte die Absperrung. Schon aus der Ferne hörte er ein eigenartiges Schaben und Kratzen. So ähnlich hatte es sich angehört, als er einmal einen Biber dabei belauscht hatte, der einen Baum fällte. Fenrir erinnerte sich. Es war ein eindeutig nagendes Geräusch. Aber es klang nicht nach Biberzahn. Es klang, als würden unzählige Gebisse an Holz schaben.
Fenrir sog die Luft ein. Der Wind stand gut. Der Wolf witterte einen säuerlichen Geruch. Ein Ätzmittel…?
Plötzlich ahnte er, daß da etwas nicht stimmte.
Er aktivierte seinen telepathischen Sondersinn, den Merlin einst aus latenter Veranlagung geschult und perfektioniert hatte.
Keine Gedanken, nicht menschlich, nicht tierisch. Aber doch… da waren Gehirne.
Hunderte.
Sie dachten nicht. Sie steuerten nur rein vegetativ. Sie arbeiteten mit Instinkten und Reflexen, nicht mit dem Intellekt. Den gab’s nicht.
Fenrir setzte Pfote vor Pfote und näherte sich der Absperrung. Diese unzähligen kleinen Gehirne… konnten das Insekten sein?
Insekten, die nagten und fraßen… die einen säuerlichen Geruch von sich gaben…? Ameisen…?
Das war es!
Ameisen fraßen am Holz der Absperrung!
Im gleichen Moment sah er sie.
Sie waren näher, als er gedacht hatte. Sie waren direkt bei ihm. Eine kleinere Gruppe von vielleicht dreißig Ameisen. Sie waren so groß wie Maikäfer, und sie hatten sich an ihn angeschlichen, ohne daß er sie bemerkt hatte. Er hatte mit seinem telepathischen Sondersinn wohl ihre Anwesenheit registriert, aber nicht ihre Annäherung feststellen können.
Auch die Witterung war nicht stärker geworden. Sie mußten schon die ganze Zeit über in seiner Nähe gewesen sein. Ein Wachtrupp?
Die maikäfergroßen Riesenameisen griffen ihn ohne Warnung an…
***
Als die Dunkelheit kam, rollte der weiße BMW die Serpentinenstraße abwärts. Nicole saß am Lenkrad. Sie trug Stiefel, Handschuhe und einen schwarzen Lederoverall, der ihren Körper wie eine zweite Haut umschloß. Zamorra hatte sich in einen dunklen Jeansanzug gezwängt und schützte sich zusätzlich ebenfalls mit hochschäftigen Stiefeln und Handschuhen. Man konnte nie wissen… Das Amulett trug er offen vor der Brust. Es war aktiviert und bereit, jederzeit schützend einzugreifen. Zusätzlich trug er, wie meistens in der letzten Zeit, seinen Dhyarra-Kristall bei sich.
Er hoffte, daß er ihn nicht einsetzen mußte. Er verließ sich in letzter Zeit nicht mehr gar so gern auf den Dhyarra, seit er wußte, daß das Überwachungsnetz der DYNASTIE DER EWIGEN jegliche Dhyarra-Aktivitäten auf der Erde exakt anpeilen konnte. Zwar war es fraglich, daß sie sich auf jeden kleinen Kristall stürzten, aber es war jedesmal ein Risiko, den Sternenstein zu benutzen.
Noch größer war das Risiko allerdings bei stärkeren, hochrangigeren Kristallen, die entsprechend eher auffielen.
Nicole fuhr langsam. Der 635 CSi erreichte das Dorf und glitt wie ein weißer Schatten hindurch. Hinter den wenigsten Fenstern brannte Licht, die einzige Gastwirtschaft war dagegen hell erleuchtet, und ein Blick durch die unverhängten Fenster zeigte, daß Pierre Mostache, der Wirt, eine Menge zu tun hatte. Natürlich war die Aktion der polizeilichen Straßenabsperrung nicht unbemerkt geblieben. Wahrscheinlich diskutierte man jetzt erregt über Sinn oder Unsinn dieser Maßnahme.
»Vielleicht sollten wir auf dem Rückweg kurz einkehren und mit den Leuten reden«, schlug Zamorra vor.
Nicole nickte. »Und einen Schoppen Wein trinken. Dann vergeht die Zeit schneller. Ich weiß nicht, ob ich heute nacht schlafen kann. Diese Sache hängt wie eine düstere Wolke über mir…«
Nicoles Worte trafen das, was auch Zamorra empfand. Er stand etwas Unbegreiflichem gegenüber.
Nach nicht einmal einer halben Minute hinter dem Ortsausgang erreichten sie die Abzweigung, die zur Loire führte und die abgesperrt war. Nicole hielt an. »Gehen wir von hier aus zu Fuß weiter?«
Zamorra schüttelte den Kopf. »Ich öffne die Sperre«,
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