0389 - Der Ghoul und seine Geishas
der Schädel geborsten, der Körper ebenfalls, und Shao war in einen Zustand hineingeglitten, wo sie überhaupt nichts mehr wahrnahm. Dieses Gleiten und Schweben, das manchmal sanfte Schaukeln, und schließlich der brutale Fall, der sie in die Unendlichkeit stieß, waren für sie nur mehr Begleiterscheinungen gewesen, bis zu dem vollkommenen Grauen, das sie mit heißen Armen empfing. Es war Feuer.
Gierig leckte es ihr entgegen, begleitet von einem furchtbaren Brausen und Tosen und einer Hitze, die Shaos Knochenmark zum Kochen brachte. Sie hörte sich irgendwann schreien, ohne es wirklich zu tun. Der Schrei war tief in ihrem Körper geboren. Die im Unterbewußtsein lauernden Gefühle der Angst verschafften sich dadurch freie Bahn, bis Shao nicht mehr konnte und der Schrei abrupt verstummte.
Die Stille umgab sie jetzt.
Eine völlig unnatürliche, bedrückende und angsteinflößende Stille, die Shao umgab wie ein zu enger Sarg. Ihre Gedanken, noch durch das hinter ihr liegende Feuer beeinträchtigt, begannen damit, sich allmählich zu finden, so daß sie in der Lage war, Überlegungen anzustellen. Sie dachte über ihr Schicksal nach, das Erinnerungsvermögen taute auf, und sie glaubte zu wissen, was geschehen war.
Man hatte sie mit irgendeinem Gift betäubt, dessen Wirkung sie durch eine Hölle hatte gehen lassen.
Lag diese jetzt hinter ihr?
Das wollte Shao kaum glauben, denn diese verdammten Typen taten nie etwas ohne Grund.
Die Chinesin öffnete den Mund und zitterte entsetzlich. Kälteschauer schüttelten sie durch.
Sie bäumte sich auf. Die Kälte war arktisch. Eine zweite Haut hatte sich über die ihre gelegt, das Gesicht war blaß geworden, als wäre jegliches Blut aus ihm gewichen, die Augen glichen bereits kleinen Eiskristallen, und jede Bewegung verursachte Schmerzen.
Folgen des Gifts, das in ihrem Körper steckte und dessen Nachwirkungen noch nicht vergangen waren.
Von einer Sekunde zur anderen war wieder alles anders. So normal, obwohl Shao einfach nicht daran glauben wollte, nach alldem, was hinter ihr lag. Sie öffnete den Mund, holte tief Luft und hätte auch den Gestank einer Kloake als angenehm empfunden, so sehr freute sie sich darüber, überhaupt Luft holen zu können.
Es lief bei ihr wieder normal.
Und das war gut.
Ein zufriedenes Gefühl stellte sich in ihrem Innern ein. Shao fand sich mit ihrem Schicksal ab, sie war ihm sogar dankbar, daß es nicht noch schlimmer gekommen war.
Nur die Dunkelheit störte sie.
Und die bekam sie auch nicht weg. Irgend jemand mußte das Licht ausgeschaltet haben und dachte nicht mehr im Traum daran, es wieder anzuknipsen. Shao mußte sich also völlig auf den oder die anderen verlassen, die irgendwann einmal kommen und das Licht anknipsen würden.
Noch war es nicht soweit, und sie versuchte sich aufzurichten.
Vergeblich.
Völlig ausgelaugt, saft- und kraftlos fühlte sie sich. Shao war nicht einmal in der Lage, ihre Arme zu bewegen und die nähere Umgebung zu ertasten, so schlimm wirkte noch das Gift.
Sie war wie gelähmt, aber ihr Geist arbeitete normal, die körperlichen Funktionen aber waren auf ein Minimum herabgeschraubt worden, nur die Augendeckel bewegte sie und die Fingerspitzen.
Dieser Malaie war ein wahrer Teufel gewesen. Er hatte sie in diesen Zustand gebracht, wo man alles mit ihr anstellen konnte, ohne daß sie in der Lage war, sich zu wehren.
Und so blieb sie liegen…
Stumm, still, hilflos und völlig allein mit ihrer fast wahnsinnigen Angst vor der Zukunft.
Die Stille blieb, diese furchtbare Einsamkeit, in der man sich verlassen vorkam. Die Dunkelheit potentierte dieses Gefühl noch.
Sie sah nichts, und sie hörte auch nichts. Da konnte sich irgendwer anschleichen, ohne daß sie es merkte. Shao hatte den Eindruck, so gut wie keine Sinne mehr zu besitzen.
Dennoch gab es da etwas…
Zuerst hatte sie nicht darauf geachtet, da sie zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt gewesen war. Dann aber wurde sie aufmerksam, blieb starr und mit offenem Mund liegen, so daß sie sich auch auf die Äußerlichkeiten konzentrieren konnte.
Das Geräusch war in gewisser Hinsicht undefinierbar. Eine Mischung zwischen Schaben, Schleifen und Rollen.
Ja, da rollte etwas.
Sehr leise, summend, dazu noch in ihrer unmittelbaren Nähe.
Eine Gänsehaut kroch über ihren Rücken. Sie fühlte sich verspannt.
Gleichzeitig verstärkte sich die Angst. In der Finsternis zu liegen und nicht zu wissen, was ein bestimmtes Geräusch zu bedeuten hat, ist
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