039 - Tod in der grünen Hölle
Vorsichtig kroch er unter den hohen Farnen und zwischen dem Schachtelhalmgras hindurch und entdeckte eine längliche Bodenmulde. Er legte sich hinein und preßte das Gesicht in das feuchte Moos. Ein fingerlanger Tausendfüßler rannte ihm über die heiße Wange.
Dann waren die Verfolger heran. Sie hielten Ausschau nach Lipwitz in dem Dämmerlicht unter dem dichten Laubdach der Bäume, die in drei Etappen wuchsen.
Mit zitternder Hand umklammerte er seinen Revolver, entschlossen, die letzten Kugeln hinauszujagen, wenn er entdeckt wurde. Sein Kopf tat immer mehr weh, und von seinem rechten Fuß strahlten Schmerzen in den ganzen Körper aus. Schleier wogten vor seinen Augen, und von einer Sekunde zur anderen verlor er das Bewußtsein.
Als er wieder zu sich kam, hörte er nur noch die Stimmen des Urwaldes – die Vogelrufe und vereinzelten Tierlaute, das Summen der Moskitos, das Rascheln irgendeines Tieres in der Nähe. Die Inkas hatten die Suche nach ihm aufgegeben.
Er wollte aufstehen, aber sein Fuß schmerzte, so daß er unmöglich auftreten konnte. An seiner linken Halsseite war vom Spinnenbiß eine faustgroße Beule entstanden, in seinen Ohren rauschte das Blut, und sein Körper war mit kaltem Schweiß bedeckt.
Nachdem er einige Minuten gelauscht hatte, ob kein Feind mehr in der Nähe war, kroch der kleine Mann mit zusammengebissenen Zähnen zu einem vom Blitz gefällten Baum. Er nahm das scharfgeschliffene Fahrtenmesser aus der Gürtelscheide und hackte damit einen gegabelten Ast vom Stamm. Dann kürzte er die Astgabeln und entfernte die Zweige, dabei immer lauschend, ob nicht die Inkas auf der Suche nach ihm umherschlichen. Mit Hilfe des dünnen, aber starken Astes, den er wie eine Krücke unter die rechte Achsel klemmte, konnte er sich aufrichten.
Er hatte Schmerzen und fühlte sich elend, aber er wollte wissen, was mit seinem Kameraden Roger Ballard geschehen war. Er lud seinen Revolver und humpelte durch das Dämmerlicht des Dschungels. Für die Strecke, die er zuvor in panischer Flucht gerannt war, brauchte er jetzt viermal so lange.
Dann hörte er die Stimmen der Inkas, einen Chor, dessen Sinn er nicht verstehen konnte, und dazwischen gräßliches Wimmern und hin und wieder einen Schrei.
Als er den Rand der Lichtung und den Kampfplatz erreichte, duckte er sich hinter die meterhohen, moosüberwucherten Brettwurzeln eines mächtigen Ceibabaumes. Ein furchtbarer Anblick bot sich ihm.
Die toten Mitglieder des Suchtrupps und ein halbes Dutzend toter Inkas lagen noch so, wie sie gefallen waren. Die anderen Inkas, über zwei Dutzend, bildeten am Rand des Dschungels einen Halbkreis. In diesem Halbkreis, dessen Öffnung dem Dschungel zugekehrt war, stand Atahualpa, und zu seinen Füßen lag Roger Ballard. Die Verletzten waren offensichtlich bereits weggebracht worden. Die Hände des blonden Roger waren auf dem Rücken mit einem langen Silbernagel zusammengenagelt, sein Körper in ein Netz eingeschnürt; so straff waren die Schnüre angezogen, daß sie tief in sein Fleisch einschnitten. Roger war noch am Leben. Das Schreien und Wimmern kam von ihm.
Auf einen Wink Atahualpas hin eilten nun zwei Inkas herbei und stellten Ballard auf die Füße. Atahualpa packte ihn an den Schultern. Sein Mund näherte sich Ballards Hals. Das Gesicht des Inkaherrschers war eine verzerrte dämonische Fratze, von abgrundtiefer Bosheit geprägt.
Lipwitz konnte nicht genau sehen, was er machte; Ballards Kopf und Schultern verdeckten ihm die Sicht. Roger gab nun keinen Laut mehr von sich. Es sah so aus, als bisse ihn Atahualpa in den Hals, als sauge er irgendwelche Köstlichkeiten aus dem geschundenen Körper, und mit ihnen das Leben selbst. Ernährte dieses ungeheuerliche Wesen sich etwa von dem Blut lebender Menschen?
Als der schreckliche Atahualpa sich nach einigen Minuten aufrichtete, war sein Mund mit Blut verschmiert. Er gab ein paar Befehle in der Sprache, die Lipwitz nicht verstand, und die beiden Inkas schleppten Ballards leblosen Körper nach Osten, zum Fluß hin. Zwei weitere Männer halfen den beiden Trägern, und Atahualpa ging vor ihnen her. Wie bei einer Prozession folgten die anderen in Doppelreihe.
Lipwitz benutzte die Gelegenheit, um sich seinen Schnellfeuerkarabiner und eine Machete zu holen. Dann folgte er dem Zug der Inkas. Er mußte wissen, was mit Roger geschah.
Er brauchte lange, bis er mit seiner behelfsmäßigen Krücke zum Fluß gehumpelt war. Der Fluß strömte nach Norden, zum Orinoco hin. Seine Ufer
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