039 - Wolfsnacht
tapfer und mutig, habe ein kluges Köpfchen, bin stets hellwach und habe einen sechsten Sinn für Gefahren.«
»Hör auf!« stöhnte Fystanat.
»Weißt du nicht, daß Eigenlob stinkt?«
»Ich lobe mich nicht, ich zähle lediglich meine Vorzüge auf«, korrigierte ihn der Knirps. »Das ist ja wohl noch erlaubt.«
»Aber Daryl sagte vorhin, ihr zwei wärt die dicksten Freunde«, sagte ich zu Cruv und Fystanat.
»Cruv und ich?« schrie Mason Marchand alias Fystanat auf. »Die dicksten Freunde? Nichts Ärgeres könnte mir passieren.«
»Unzertrennlich wärt ihr, behauptete Pakka-dee.«
»Ja, unzertrennlich«, sagte Fystanat, »weil ich keine Möglichkeit habe, mir den lästigen Kleinen vom Hals zu schaffen.«
»Nun hört euch dieses undankbare Bündel an!« rief Cruv. »Da opfert man ihm Tag für Tag seine Freizeit und kriegt dann so etwas zu hören. Na schön, Fystanat, dann sind wir von nun an eben geschiedene Leute.«
Ein Außenstehender hätte meinen können, es wäre ernst, was die beiden sagten. Wir wußten es besser. Fystanat wollte den Kleinen nicht an sich binden, wenn er anderswo gebraucht wurde.
Die Würfel waren gefallen.
Cruv würde Tucker Peckinpahs Leibwächter werden, und an der stolzgeschwellten Brust des Kleinen war zu erkennen, daß er sich sehr geehrt fühlte.
***
1956
»Dieser gottverdammte behaarte Teufel!« knurrte Inspektor Sam Taylor. Er stand vor dem Stadtplan, einer riesigen Wandkarte, und überall dort, wo der Werwolf schon zugeschlagen hatte, steckte eine Nadel mit blutrotem Kopf. »Ein Wald von Stecknadeln! Bald wird kein Platz mehr für neue Nadeln sein!«
Sergeant John Dahl schwieg betreten. Zur Zeit war der Inspektor nicht sonderlich gut auf ihn zu sprechen, und das mit Recht. Er hätte die Bestie nicht verfehlen dürfen.
Acht geweihte Silberkugeln! Acht! Und keine einzige hatte das Ungeheuer getroffen. Das war eine negative Meisterleistung.
Taylor wies auf die Nadel, die vor einer halben Stunde erst dazugekommen war. Sie steckte am Rand eines Sportplatzes. »Dieses Mädchen könnte noch leben, wenn Sie nicht so hysterisch gewesen wären, Sergeant!«
Dahl nickte niedergeschlagen. »Ich weiß, Inspektor, und es tut mir aufrichtig leid.«
»Davon wird das Mädchen nicht wieder lebendig«, herrschte Taylor den Sergeanten an. »Wie konnten Sie nur so komplett die Nerven wegschmeißen?«
»Ich weiß es nicht, Sir. Ich habe keine Erklärung dafür. Ich dachte, ich wäre meiner Aufgabe gewachsen, als dann aber dieses knurrende Ungeheuer aus der Dunkelheit auf mich zuschoß… Ich wollte, ich bekäme die Gelegenheit, wiedergutzumachen, was ich verdorben habe. Sollte ich der Bestie noch einmal begegnen, werde ich einen kühlen Kopf bewahren, das verspreche ich, Inspektor.«
»Fragt sich nur, ob wir noch mal so eine große Chance kriegen werden«, sagte Sam Taylor und fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Ich bin müde, Sergeant, und ich bin es leid, diese Bestie zu jagen. Es wäre großartig, wenn jemand käme und mir diesen verfluchten Fall abnehmen würde.«
Dahl wußte, daß der Inspektor nicht meinte, was er sagte. Sam Taylor hätte sich diesen Fall nie und nimmer wegnehmen lassen. Er hatte sich darin verbissen und hätte sich mit Klauen und Zähnen dagegen gewehrt, den Fall abzugeben.
»Gehen Sie nach Hause, Sergeant«, sagte er seufzend.
»Ja, Inspektor. Sie sollten auch heimgehen. Sie sehen erschöpft aus.«
»Sind Sie ein frommer Mensch, Sergeant?«
»Ich gehe nicht jeden Sonntag in die Kirche, aber ich glaube an Gott.«
»Dann beten Sie zu ihm. Bitten Sie ihn, daß er uns endlich hilft. Er kann doch nicht wollen, daß noch mehr Menschen diesem grausamen Monster zum Opfer fallen.«
Der Sergeant verließ das Büro, und Inspektor Taylor fuhr eine Stunde später nach Hause. Er ging zwar zu Bett, aber er konnte nicht einschlafen. Ständig kreisten seine Gedanken um den Werwolf.
Wie sah der Mann aus, wenn er kein Ungeheuer war? Kannte ihn der Inspektor dann sogar?
Bin ich ihm im Verlaufe meiner Ermittlungen schon mal begegnet?
fragte sich Sam Taylor und ging die vielen Menschen, mit denen er gesprochen hatte, der Reihe nach durch. Wer von ihnen könnte die Bestie sein?
Gesichter zogen an seinem geistigen Auge vorbei. Er musterte aus
… Der nicht … Der eventuell … Der möglicherweise … Der unter Umständen … Und der? Nein, der auf keinen Fall …
Ein verschwindend kleiner Prozentsatz blieb übrig, und wieder sortierte Sam Taylor aus, bis nur noch
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