039 - Wolfsnacht
anderweitig gebraucht.«
»Schade«, sagte Peckinpah lächelnd. »Ich konnte mich mit ihr überall sehen lassen. Es gab viele, die mich um meine reizende Begleitung beneideten.«
»Mit mir kann man sich auch sehen lassen«, behauptete der häßliche Gnom.
Peckinpah wies auf den Kleinen und fragte mich: »Er soll mein neuer Schutzengel werden?«
»Ihr Leibwächter, ja«, sagte ich. »Vorausgesetzt, Sie sind damit einverstanden, Partner.«
»Wer schöner ist als ich, der ist geschminkt!« tönte der Gnom und hatte damit einen Lacherfolg.
»Nun ja«, meinte Peckinpah und suchte nach Worten.
»Ich bin zwar nicht so attraktiv wie Roxane«, sagte der Gnom, »dafür habe ich aber andere Vorzüge. Sie können mich zum Beispiel überall hin unbemerkt mitnehmen. Man kann mich leicht in jede Tasche stecken.«
»Also so klein sind Sie nun auch wieder nicht, Cruv«, sagte Peckinpah amüsiert. »Aber ich bin mit dem Tausch einverstanden. Ich sehe ein, daß Roxane nicht länger an diese Aufgabe gebunden bleiben darf, und ich bin davon überzeugt, daß Cruv mich genauso gut beschützen wird wie sie.«
»Das will ich meinen«, behauptete der Knirps selbstbewußt.
Peckinpahs Telefon schlug an. Der Industrielle entschuldigte sich und begab sich zum Apparat. Der Anrufer sprach nur wenige Worte, dann schaltete Peckinpah auf Lautsprecher, damit wir das Gespräch alle mithören konnten.
Wir erfuhren, daß am anderen Ende der Leitung der Chefarzt eines Londoner Krankenhauses war. Der Mann hieß Dr. Bolan, und dieser Dr. Bolan hatte Kummer.
»Gestern nacht wurde bei uns ein Mann namens Leif Stanwyck eingeliefert«, berichtete Bolan. »Übel zugerichtet war er, und ich dachte zunächst, wir würden ihn nicht durchbringen…«
»Ein Unfall?« fragte Tucker Peckinpah.
»Leider nicht«, sagte Dr. Bolan. »Stanwyck wurde überfallen…«
»Rocker?«
»Schlimmer, Mr. Peckinpah! Viel schlimmer! Leif Stanwyck wurde das Opfer eines Werwolfes. Es wundert mich, daß sie davon nichts wissen, Sir. Für gewöhnlich sind Sie auch dann bestens informiert, wenn die Polizei – wie in diesem Fall – eine Nachrichtensperre verhängt, damit in der Stadt keine Hysterie ausbricht.«
»Mein Informationskanal scheint diesmal verstopft zu sein«, sagte der Industrielle. Er bat den Chefarzt, ihm zu erzählen, was sich ereignet hatte. Wir alle lauschten gespannt den Worten des Anrufers.
»Wie geht es Stanwyck?« erkundigte sich Peckinpah, nachdem Dr. Bolan geendet hatte.
»Verblüffend gut, Sir. Das gibt mir zu denken.«
»Wieso?«
»Weil da irgend etwas nicht stimmen kann. Der Mann erholt sich zu rasch. Ich bin nicht erst seit gestern Arzt, und ich weiß, daß man sich von so schweren Verletzungen nur sehr langsam erholt. Zuerst freute ich mich über den raschen Genesungsfortschritt, doch allmählich macht er mich stutzig. Es scheint da nicht mit rechten Dingen zuzugehen. Vielleicht sollte man etwas unternehmen. Sie stehen doch in Verbindung mit diesem Privatdetektiv, der sich auf solche Fälle spezialisiert hat. Wie ist doch gleich sein Name?«
»Tony Ballard.«
»Ja«, sagte Dr. Bolan. »Was halten Sie davon, wenn Tony Ballard sich den Patienten mal ansieht.«
»Zufällig ist Ballard anwesend, Dr. Bolan. Er hat das Gespräch mitgehört. Wollen Sie mit ihm persönlich reden?«
»Ja, geben Sie ihn mir.«
Ich stand auf. Peckinpah hielt mir den Telefonhörer entgegen. Ich griff danach und meldete mich. Bolan hatte eine angenehme, melodiöse Stimme.
»Wie denken Sie über die Sache, Mr. Ballard?« wollte der Chefarzt wissen.
»Durch die schwere Verletzung kann Leif Stanwyck den Keim des Bösen in seinen Körper bekommen haben«, sagte ich. »Er stärkt ihn und bewirkt die rasche Genesung.«
»Himmel, und was passiert, wenn der Mann gesund ist?«
»Es besteht die Gefahr, daß er dann zum Werwolf wird.«
»Kann man dagegen nichts tun?« fragte Dr. Bolan schrill.
Was sollte ich ihm darauf antworten? Ich konnte dagegen kaum etwas unternehmen. Vielleicht hatte Mr. Silver eine Idee. Das sagte ich dann auch Dr. Bolan, und ich versprach, meinen Freund sofort anzurufen.
Außerdem kündigte ich an, ins Krankenhaus zu kommen.
Ein Werwolf! Und wir erfuhren erst jetzt davon. Irgendwo lebte er unter mehr als acht Millionen Menschen. Unerkannt. Ein grausamer Mörder, am Tage der harmlose Mann von nebenan, bei Nacht aber eine reißende Bestie, vor der man sich höllisch in acht nehmen mußte.
Das Monster schien allem Anschein nach den Keim des Bösen
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