0393 - Der Vampir von London
meistens Überlebenskämpfe, und wenn die vorbei waren, war er froh, ein paar Stunden oder Tage Ruhe zu haben, ohne sich um okkulte Phänomene kümmern zu müssen.
Vielleicht aber wäre es ihm möglich gewesen, das Amulett selbst gezielt anzusprechen, wenn er sich intensiver mit seiner Entwicklung befaßt hätte? Es war nur eine Spekulation. Aber wenn sie zutraf, dann… würde er sich zumindest dieser Nachlässigkeit wegen einen Narren schelten.
Seine schwache telepathische Begabung reichte andererseits bei weitem nicht aus, nach Gryf zu suchen und ihn mit der Kraft der Gedanken anzusprechen. Selbst dann nicht, wenn Zamorra versuchte, seine latenten Fähigkeiten mit dem Dhyarra-Kristall zu verstärken. Er würde sich nur unnötig verausgaben. Und das wollte er gerade jetzt vermeiden. Er mußte weiter neue Kraft schöpfen. Die Vergiftung durch den Zauberdolch hatte ihn auch in dieser Hinsicht geschwächt. Er war immer noch nicht wieder ganz der alte. Also - keine unnötigen geistigen, körperlichen und magischen Anstrengungen. Kräfte schonen für den entscheidenden Moment, in dem sie wirklich gebraucht wurden…
Er seufzte. Woher sollte er nun wissen, ob er nach Gryf suchen und ihm Hilfe bringen sollte oder nicht? Er entsann sich plötzlich, daß es ihm selbst schon einige Male ähnlich gegangen war; er hatte etwas erledigen wollen und war plötzlich in den Strudel von gefährlichen Ereignissen geraten, die ihm keine Zeit mehr ließen, sich rückzuversichern. Er war verschwunden, und seine Freunde hatten nach ihm zu suchen, um ihm die dringend benötigte Hilfe bringen zu können…
Er sah auf die Uhr. »Noch zwei Stunden warte ich«, beschloß er. »Dann…«
Aber was dann? Er fühlte sich ziemlich ratlos.
***
Gryf war sauer. Seine Laune bewegte sich weit unterhalb des Nullpunktes. Und sie sank um so tiefer, je länger er hier in der U-Zelle saß. Er war der einzige »Gast«, den man einquartiert hatte, wie eine telepathische Sondierung ergeben hatte. Um so mehr Zeit hatte das Wachpersonal, sich um ihn zu kümmern. Alle halbe Stunde kam jemand und warf einen Blick durch das Guckloch in die Zelle, um festzustellen, ob der Gefangene sicn auch nicht aus Kummer am Fensterkreuz erhängt hatte oder ob er irgend welche besonderen Wünsche hatte.
Der Druide spielte mit dem Gedanken, sich per zeitlosen Sprung zu entfernen. Dann konnte er wenigstens weiter versuchen, erstens den Dieb des Amuletts zu finden, der gleichzeitig ein Mörder war, und zweitens vielleicht die Spur des Pärchens vom Nachmittag doch noch aufzunehmen. Aber die Zeitabstände, in denen ein Wachmann in die Zelle schaute, waren zu kurz für eine vernünftige Aktion, und sie waren zu unregelmäßig. Mochte der Himmel wissen, was die beiden Beamten sich davon versprachen, immer wieder nach Gryf zu sehen. Vielleicht war es reine Beschäftigungstherapie, weil sie sonst nichts zu tun hatten. Gryf verzichtete darauf, Gedankenspionage zu betreiben.
Sicher - sie konnten nichts tun, wenn er einfach verschwand. Aber sein rätselhaftes Verschwinden würde erstens eine sofortige Großfahndung nach ihm auslösen, und zweitens würde er bei seiner Rückkehr eine Menge Erklärungen abgeben müssen, die ihm ohnehin niemand glauben würde.
Da konnte er auch noch bis zum Morgen warten. Zähneknirschend ergab er sich drein. Am Morgen würde er einen Anwalt beigestellt bekommen, der ihn erst einmal wieder freiboxte; so würde alles seinen ganz normalen Weg gehen. Nur verlor er dadurch eine Menge Zeit.
Er schüttelte den Kopf. So etwas war ihm auch noch nie passiert…
Schließlich gelang es ihm, trotz seines Ärgers, einzuschlafen. Wilde Träume waren die Folge; Zamorra in Gestalt eines Vampirs glitt durch die verschlossene Tür und beugte sich über Gryf, um ihm das Blut auszusaugen, und er brachte es nicht übers Herz, diesen Vampir zu pfählen, weil er sich nicht an einem Freund vergreifen konnte…
Er schlief länger, als er erwartet hatte. Er wurde erst wach, als jemand seine Zelle betrat. Ein Mann in schlichtem dunkelblauen Anzug stand Gryf gegenüber.
»Tja, Sir, ich glaube, das war’s dann«, sagte er. »Sie haben eine Menge Glück und eine Fürsprecherin im Yard, die beteuert, Sie könnten einfach kein Mörder sein. Sie kennen Miß Crawford?«
Gryf überlegte. Crawford… dann zündete es. »Barbara Crawford? Babs? Was hat sie mit meinem Fall zu tun?« fragte er den Mann, der sich nicht vorgestellt hatte.
»Sie ist meine Sekretärin«, sagte der
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