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0394 - Die Unheimliche vom Schandturm

0394 - Die Unheimliche vom Schandturm

Titel: 0394 - Die Unheimliche vom Schandturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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hätte auch einer anderen gehören können, sagte er sich, überwand sich, fiel auf die Knie und schaute unter das Bett.
    Er sah die Hand, den. Arm. Er schaute auf die gekrümmten Finger, und er sah noch mehr.
    Ein bleiches Gesicht mit weit aufgerissenen, gebrochenen Augen, die ihn anstarrten. Der Kopf lag schief, die beiden kindlich geflochtenen Zöpfe wirkten wie ein makabrer Zusatz.
    Das Gesicht des Mannes verzog sich. Er konnte nicht mehr anders. Plötzlich mußte er weinen, und seine Trauer war echt. Er hatte Gretchen viel Sympathie entgegengebracht, und sie hatte ihm auf ihre Art das gleiche gegeben.
    Nun lag sie unter dem Bett.
    Bleich, kalt, tot…
    Umgebracht von einem Wesen, das selbst nicht mehr leben durfte und trotzdem durch die Nacht geisterte.
    Rudolph ballte die Hände zu Fäusten, während Tränen aus seinen Augen rannen und er die Tür wie durch einen dichten Schleier sah.
    »Ich hasse dich, Gertrude! Verdammt, ich hasse dich! Ich will dich nicht mehr sehen! Und wenn, dann werde ich dich…«
    Das letzte Wort sprach er nicht mehr aus, weil er aus dem Innern des Turms Geräusche hörte. Jemand kam die Treppe hoch.
    Nicht irgendeiner, nein, das war ein Wesen, das vier Beine und beschlagene Hufe besaß.
    Ein Pferd!
    Gertrudes Tier. Sie hatte dafür gesorgt, daß die beiden Pferde aus dem Stall geholt wurden, so wie sie es versprach. Jetzt kam sie mit den Tieren die Wendeltreppe hoch, um ihm den lebenden Beweis vorzuführen und gleichzeitig zu erkennen zu geben, daß er tatsächlich keinen Traum erlebte und seine Frau noch existierte.
    Er schaute auf die Tür, die ihm direkt gegenüberlag. Auf einmal konnte er am Fenster nicht mehr bleiben. Mit zwei Schritten zog er sich zurück, um in einer der sechs angedeuteten Ecken stehenzubleiben und von hier aus zu beobachten.
    Dann waren sie an der Tür. Er hörte das Schlagen der Hufe deutlicher, auch das Schnauben der Tiere und vernahm im nächsten Augenblick die Schläge, die gegen das Holz hämmerten.
    Wuchtige, hämmernde, dröhnende Laute, die wahrscheinlich nicht von der lebenden Leiche stammten, sondern von einem Huftritt, unter dem das Holz erzitterte und vibrierte.
    Dann brach die Tür ein.
    Auch sie hatte der vehementen Wucht der harten Tritte nichts mehr entgegensetzen können. In der Mitte splitterte das Holz, und an den Seiten wurde sie aus den Angeln gerissen, so daß die freie Bahn hatten, die hinter ihr standen.
    Es war Gertrude mit ihren Lieblingstieren, zwei prachtvollen Schimmeln.
    Obwohl der Raum zwischen den zwei Pfosten ziemlich eng war, stand sie dort und hielt die Zügel der Tiere fest, die sie links und rechts einrahmten.
    Die Pferde tänzelten unruhig. Auch sie spürten, daß hier jemand gekommen war, der nicht mehr zu den Lebenden zählte. Sie besaßen einen besonderen Instinkt für diese Dinge, aber die Kraft der lebenden Leiche zwang sie, sich nicht mehr zu bewegen, als unbedingt nötig war.
    Das häßliche Lachen schallte dem Kaufmann entgegen. »Sieh her, geliebter Gatte. Ich habe dir den Beweis geliefert. Es sind meine beiden Pferde, die nur mir gehorchten. Sie waren den anderen zu wild, wollten sich nicht anfassen lassen, und nur ich konnte ihnen Gehorsam auf zwingen, der sich auch über das Grab hinweg gehalten hat.«
    Er nickte. »Ja, ja, ich sehe es. Du hast den Beweis erbracht. Es sind deine Tiere.«
    »Und ich werde mit ihnen ausreiten, Rudolph. Die Leute werden mich anstarren, wenn ich auf den Schimmeln durch die Straße reite. Ich bin zurückgekehrt, für immer…«
    Da zerrten die beiden Tiere an den Zügeln. Sie hatten den Griff etwas gelockert. Das schrille Wiehern der Pferde tönte durch den Raum, und Rudolph bekam vor diesen trompetenähnlichen Klängen eine höllische Angst. Sie schüttelten die Köpfe, die Mähnen flogen, hätte nur noch gefehlt, daß sie Feuer und Schwefeldampf spuckten.
    Das trat nicht ein, dafür rasten sie los, als hätte ihnen jemand ein glühendes Eisen gegen die Flanken gedrückt. Und Rudolph Ricardis war froh, nicht mehr vor dem Fenster zu stehen, denn genau diesen Weg schlugen die Tiere ein.
    Plötzlich hatten sie die Stelle erreicht. Sie warfen ihre Köpfe vor, das Glas splitterte, und dann streckten die beiden Schimmel ihre Schädel durch das entstandene Loch, um nach draußen in die Tiefe zu starren. Wer jetzt hochschaute, konnte sie sehen und auch erkennen, wie unruhig sie sich bewegten.
    »Sie sind noch immer sehr temperamentvoll«, erklärte Gertrude, während sie sich von der Stelle

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