0395 - Luzifers Paradies
Blödsinn…«
Das war Marie, die mit der Heftpflasterrolle und einer Schere wieder aufgetaucht war und jetzt einen Pflasterstreifen dekorativ über Grundls Haupthaar klebte, flächendeckend über seine Hinterkopfschramme. »So, jetzt geht’s dir gleich wieder besser, Junge«, versicherte sie ihm erfolgsgewiß.
»In welche Richtung sind sie denn geflüchtet? Nach links? Nach Vigo, oder zum Paß hinüber?«
»Querfeldein…«
»Also mit einem Geländewagen«, schloß Lukas Leitners kriminalistischer Scharfsinn. »Da werden sie nicht weit kommen. Irgendwo bleiben sie dann stecken. Welche Richtung?«
»Sie sind zu Fuß, Lukas«, ächzte Grundl. »Nach Westen, den Hang hinauf, glaube ich. Möchte wissen, was sie da wollen. Da gibt’s doch nur Wald und Steine, nicht mal ’ne Hütte.«
»Zu Fuß!« Leitner tippte sich an die Stirn. »Welcher Entführer geht denn zu Fuß, eh? Die müßten ja dumm im Kopf sein!«
Er ging zum Telefon.
»Ich rufe die Polizei«, sagte er. »Anton, du willst mich doch nicht auf den Arm nehmen, oder? Wenn die Polizei erst mal hier ist und du hast mich vergackeiert, wird’s ein teurer Spaß und wir sind geschiedene Leute… Was Sibylle angeht, verstehe ich keinen Spaß.«
Das konnte Grundl ihm nachfühlen. Er liebte das Mädchen doch auch, aber für Leitner war sie das einzige Kind.
Leitner rief die Polizei an.
Die mußte aus Bozen herüberkommen, und das dauerte einer Weile. Für Entführung war der Dorfpolizist in Vigo nicht unbedingt der geeignete Spezialist. Außerdem saß er wahrscheinlich in der Kneipe und war bereits jenseits von Gut und Böse. Heute hatte er nämlich seinen Tarockabend mit der Stammtischrunde. Und da flossen Bier, Wein und Schnaps in Strömen wie Wasser durchs Flußbett.
»Vielleicht laufen Ihnen die Entführer ja sogar in die Arme. Sie kommen Ihnen doch entgegen«, glaubte Leitner den Polizeibeamten noch einen Tip geben zu müssen.
Ein paar Minuten später staunte er Bauklötze, als er ein Auto auf dem Hof stoppen hörte. »Na, die sind aber schnell gekommen«, wunderte er sich. »Können die neuerdings fliegen, die Carabinieri? Na ja, wenn’s Nachtmahre und Riesen gibt, warum nicht auch geflügelte Polizei?«
***
Als die Beamten in Bozen starteten, hatten die vier Riesen bereits ihr Ziel erreicht. In einem unglaublichen Tempo hatten sie das Bergmassiv halb umrundet und befanden sich jetzt in jenem Gebiet, das in der Abenddämmerung einen Blumengarten in vollster Pracht vorgaukelte.
Sie bewegten sich völlig trittsicher.
Plötzlich hielt einer von ihnen an, berührte einen Felsvorsprung, und übergangslos öffnete sich vor ihnen der Eingang in den Berg.
Keiner der vier brauchte sich zu bücken, um durch das Felsentor zu schreiten, und auch für den Riesen, der Sibylle Leitner trug, wurde es nicht zu eng.
Licht sprang ihnen entgegen, das von unzähligen geschliffenen Edelsteinen verstärkt wurde, aber nach draußen war es allenfalls als winziger Punkt zu erkennen, und wer es zufällig sah, mochte es für eine Sinnestäuschung halten. Denn eine Sekunde später war es schon wieder verschwunden.
Nichts deutete mehr darauf hin, daß hier Riesen aus der Nacht gekommen und im Fels verschwunden waren.
Aber im Inneren des Berges setzten die vier ihren Weg fort.
Sanft wurde Sybille nicht gerade behandelt. Der Riese schien nicht wahrzunehmen, wie sie auf seiner Schulter in ihrer ungemütlichen Lage hin und her gerüttelt wurde. Sie stöhnten auf, und einige Male wurde ihr übel, vor allem in der dünnen Luft, die hier herrschte. Die Beleuchtung wurde mal schwächer, mal stärker, aber auch im Dämmerlicht konnte Sibylle nur staunen über die Kostbarkeiten, die hier angesammelt worden waren. Sie sah Lampen aus Gold, mit Edelsteinen besetzt, in denen grünliches Licht glühte, sie sah in den unterirdischen Gängen Wegweiser, die aus purem Gold waren… Milliardenwerte waren hier angesammelt.
Und das alles in diesem Felsmassiv, von dem man sagte, daß sich darunter Laurins Zauberreich befunden hatte!
Da glaubte Sibylle alles!
Und im nächsten Moment befand sie sich mit den Riesen in einer gewaltigen Kaverne, die noch kostbarer, ausgestattet war, und auf einen diamantenbesetzten Thron saß eine häßliche Zwergengestalt, die alt und runzlig war und von der außer einem kahlen, kantigen Schädel, irrlichternen Augen und einem riesigen, grauweißen Bart kaum etwas zu erkennen war.
Andere Zwerge standen rechts und links, und der Riese, der Sibylle bis zu
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