0395 - Luzifers Paradies
diesem Moment getragen hatte, packte mit seinen Pranken zu, wirbelte sie durch die Luft, daß ihr erneut schwindelig wurde, und stellte sie mit einem harten Ruck vor dem Thron auf die Füße.
Er brüllte etwas in einer Sprache, die Sibylle noch nie gehört hatte, aber dann hörte sie wieder diese nicht einzuordnende Stimme, die kaum hörbar raunte:
» Riesen, Riesen, gehet leise, werdet wieder kleine Mäuse…«
Und im nächsten Moment gab es die vier Riesen in diesem Thronsaal nicht mehr, aber vier kleine Mäuse huschten davon und verschwanden in Schlupflöchern an den Wänden.
Sibylle Leitner war im Thronsaal mit den Zwergen allein…
***
Nachdenklich betrachtete Teri den Schimmel.
Der war bestimmt nicht allein hierher gekommen. Wenn er frei hier herumlaufen würde, brauchte er diesen kostbaren Sattel nicht zu tragen. Also mußte auch der Reiter des etwa rehgroßen Pferdes hier irgendwo zu finden sein. Und der hieß Laurin…!
Steckte er in der Nähe und beobachtete die Druidin aus dem Verborgenen heraus? So, wie möglicherweise ebenfalls er sie draußen am Karer Paß beobachtet hatte?
Das dazugehörige Gefühl stellte sich diesmal nicht bei ihr ein. Aber das hatte nichts zu bedeuten. Vielleicht war es ihr draußen nur mit ihren Para-Fähigkeiten aufgefallen, ohne daß ihr diese Tatsache bewußt wurde, und diese Fähigkeiten funktionierten hier in diesem scheinbaren Paradies nun mal nicht. Damit hatte sie sich abzufinden.
Bloß damit, daß sie jetzt für alle Zeiten hier gefangen sein sollte, wie sie den klagenden Worten des Fauns zu vernehmen geglaubt hatte, damit wollte sie sich nicht abfinden. Um keinen Preis.
»Zeig dich, du feiger Voyeur«, rief sie laut. »Komm heraus aus deinem Versteck, oder hast du etwa Angst, dich mir zu stellen? Angst vor einer nackten, unbewaffneten Frau? Ist König Laurin so ein Feigling?«
Wenn sie geglaubt hatte, nach diesen provozierenden Worten würde es irgendwo in der Nähe im Gebüsch rascheln und jemand zwischen den Sträuchern hervor ins Freie treten, sah sie sich getäuscht. Nur der kleine Schimmel kam in gemächlichem Schrittempo näher heran.
Seine Zügel lagen lose auf dem Nacken des Tieres, aber Teri konnte sich mit einem Mal des Gefühls nicht erwehren, daß das Tier gelenkt wurde.
Dicht vor ihr blieb es stehen.
Sie streckte die Hand aus und strich über den langen Nasenrücken des Pferdekopfes, klopfte dem Tier dann den Hals. »Na, du Schneewittchen, trägst du den feigen Voyeur auf deinem Rücken oder nicht?«
Von einem Moment zum anderen starrte Laurin sie an, und seine Augen funkelten vor Wut. »Schöne Jungfrau, niemand darf es ungestraft wagen, Laurin einen Feigling zu nennen!«
Er war pure, geballte Wut, aber er beherrschte sich mustergültig. Nur das kalte Flammen seiner Augen und das Zittern seiner Nasenflügel und Hände verrieten seinen Zorn.
Er war mit ihr annähernd auf Augenhöhe, wie er da im Sattel saß, und sie nahm an, daß er sich ihr deshalb auf dem Pferderücken genähert hatte. Er sah so aus, wie Sibylle ihn beschrieben hatte, und in der linken Hand trug er eine Lanze, die mit dem unteren Ende im Sattelschuh steckte. So pflegten die Bannerträger im berittenen Heer ihre Standarten zu tragen.
Sie warf den Kopf zurück. Sie lachte ihn an: »Laurin, größter König aller Alpen und Herr über fünfzehn Reiche, wie man sich zuraunt - hast du es wirklich nötig, dich einer Frau, die du hier gefangenzuhalten versuchst, unsichtbar zu nähern? Hast du nicht in dir die Kraft von zwölf Männern, wenn du deine Zaubermittel bei dir trägst? Glaubst du, du könntest mir unterlegen sein, wenn du auf deine Unsicherheit verzichtest? Natürlich, für einen alten Herrn wie du es bist, ist es verlockend, nackte Mädchen beim Baden und beim Spiel mit deinen Raubkatzen zu beobachten, ohne selbst erkannt zu werden… hat es dir wenigstens Spaß gemacht, Durchlaucht?«
Seine rechte Hand schoß vor, als wolle er Teri packen und ihr den Hals zudrücken, aber dann stoppte er diese Bewegung. Klirrende Kälte klang in seiner Stimme, als er Teri anfauchte: »Solch kecke Rede wagte mir noch keiner zu halten, nicht Edelmann und König, nicht Ritter oder Knappe und erst recht kein Weib! Also zügle deine Zunge, schöne Jungfrau…«
Wieder lachte sie ihn an, trat aber diesmal vorsichtshalber ein paar Schritte zurück. »Laurin, Jungfrau bin ich schon lange nicht mehr…«
»Das betrübt mich«, sagte er. Er musterte sie jetzt eingehend, und langsam wurde er
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