0395 - Luzifers Paradies
unbotmäßiges Verhalten. Sei ihm eine geduldige, verständnisvolle und allzeit bereite Gespielin, und du wirst es hier gut haben, bis er eine andere erwählt. Ansonsten… wird er recht bald eine andere erwählen, und du wirst aus dem Berg verbannt.«
»Seine Gespielin?« stieß sie entsetzt hervor. »Soll das heißen, daß ich…?«
»Man kann es auch Mätresse nennen«, grinste der Zwerg vor ihr respektlos. »Du glaubst gar nicht, wie gut du es hier bei uns haben kannst, wenn du dich richtig verhältst. Du schwelgst in Reichtümern. Schau, dort! Hast du jemals solche prächtigen Gewänder gesehen?« Er zeigte auf einen Schrank, dessen Türen offenstanden. »Gold und Schmuck, Edelsteine… es herrscht kein Mangel. Die reichen Männer der gesamten Welt zusammen könnten dir nicht so viel bieten, wie es unser Herrscher vermag. Genieße den Reichtum, den Luxus und seine Liebe, solange er sie dir gewährt.«
»Aber… aber ich bin verlobt!« schrie sie und sprang auf. »Ich bin mit einem Menschen verlobt, und ich liebe ihn! Ich kann doch nicht einen Zwerg…«
»Oh, du wirst es müssen, oder du wirst diesen Berg sehr schnell wieder verlassen.«
Sie fuhr herum, starrte ihn entgeistert an. »Damit willst und mir drohen? Nichts lieber als das…«
»Aber du wirst dann kein Menschenweib mehr sein«, sagte der Zwerg gelassen.
»Was… was soll das heißen?«
»Er wird dich mit einem Zauber belegen, und er wird deine Seele verschlingen. Aber je netter du zu ihm bist, desto länger wird er dich mögen und seine Aufmerksamkeit keiner anderen Menschenfrau widmen. Also, streng dich an…«
»Oh, nein«, flüsterte sie. »Zauber…« Und ihr wurde klar, daß es keine leere Drohung war. Hatte sie nicht selbst gesehen, wie durch Zauber aus Mäusen Riesen wurden und umgekehrt?
Wer das fertigbrachte, war auch in der Lage, sie selbst zu verwandeln. In eine Maus, in eine Spinne - oder in was auch immer.
Und ihre Seele zu verschlingen…
Aber die Zwerge ließen ihr nicht einmal Zeit, ihre Angst richtig zu begreifen.
»Verliere keine Zeit«, forderten sie sie auf. »Er wird dich bald wieder sehen wollen. Seine Geduld hat Grenzen. Wähle unter diesen Gewändern. Du willst doch schön sein, wenn du ihm vor die Augen trittst, oder? Mit diesen Lumpen, die du trägst, wird dir das nur schwer gelingen…«
Sie seufzte.
Es sah so aus, als würde sie erst einmal gehorchen müssen. Noch war alles zu neu, zu ungewohnt. Sie mußte das, was sie soeben an Furchtbarem erfahren hatte, erst einmal geistig verarbeiten. Sie mußte diese Bergeshöhlen erforschen und nach einem Fluchtweg suchen. Vielleicht konnte sie sogar einen der Zwerge dazu bringen, ihr dabei zu helfen… tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf-.
Flucht! Sie mußte verschwinden. Aber dazu mußte sie erst einmal den Ausgang wiederfinden…
Bis dahin hatte sie zu gehorchen, denn sie wollte doch nicht verzaubert werden.
Wenn ihr vor ein paar Tagen jemand erzählt hätte, was sie jetzt erlebte, hätte sie ihn noch ausgelacht.
Aber jetzt lebte sie im Innern des Berges - und in panischer Furcht. Und sie schauderte bei der Vorstellung, daß dieser runzlige, kahlköpfige Zwergenkönig mit den kalten Augen und dem langen grauweißen Bart sie berühren würde.
Sie, Sibylle Leitner, seine Mätresse…
Langsam begann sie die Kleider, die in ihrem Schrank hingen, zu begutachten und auszuwählen, was sie tragen würde, wenn sie gleich dem Zwergenkönig wieder gegenüberzutreten hatte.
Sie mußte ihm doch gefallen…
Und ungerührt sahen ihre Aufpasser ihr dabei zu…
***
Sintram, der Zwerg, hatte das Gefühl, daß etwas in seinem Reich nicht stimmte. Er sandte seine Beobachter aus, und die stellten fest, daß über das Land der Seelenlosen jemand eingedrungen war, der dort nichts zu suchen hatte.
Seine Raben wollten dabei ein Menschenweib gesehen haben, das nackt durch das Land der Seelenlosen lief und dessen Haar golden leuchtete und bis auf die Hüften herunter fiel.
Ein Menschenweib, das im Land der Seelenlosen nichts verloren hatte! Dorthin durften nur Zwerge, die zwischen der Welt im hohlen Berg und dem Land hin und her wechseln konnten, wie es ihnen beliebte, und dorhtin mußten jene, derer Sintram überdrüssig geworden war. Er nahm ihnen die Seele, verwandelte sie in Tiere und schickte sie dorthin. Denn aus seinem Reich gab es keinen Weg für- Menschen, der wieder in die Freiheit führte. Wer sich einmal hier befand, kehrte nie wieder zu Seinesgleichen
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