0396 - Leonardos Zauberbuch
offen.
Und dann fand er den Eindringling im Ritualraum. Es war dieses Mädchen, das ihn in der Nacht angegriffen hatte. Das Haar war nicht nur blond, sondern golden! Sekundenlang hielt Terzotti verblüfft den Atem an. Solches Haar hatte er noch nie gesehen.
Im nächsten Moment drehte das Mädchen sich.
Terzotti riß die Hand mit der Pistole hoch. Die Waffe war bereits entsichert. Noch während das Mädchen sich drehte, schoß der Sektenführer. Eigentlich hatte er die Goldhaarige nur gefangennehmen und dann befragen wollen, aber ihre blitzschnelle Reaktion löste einen Reflex in ihm aus. Er wollte nicht noch einmal von ihr geschlagen werden.
Die Kugel, die ihre Bewegung stoppte, war schneller als sein bedauernder Gedanke.
***
Der Lastwagen, in dem Giorgio Gambino Passagier war, hatte in den Morgenstunden Verona erreicht, als Gambino aus seinem tiefen Schlaf wieder erwachte. Erstaunt stellte der Weltenbummler in Sachen Magie fest, daß er eigentlich gar nicht so lange weggetreten gewesen war. Er hatte tief und traumlos geschlafen.
Richtig wach war er nicht, aber das wurde er, als er sah, wie der Lkw die Ausfahrt benutzte und an der Mautstelle abstoppte. Wenn dem Mautner seine Personenbeschreibung vorlag…
Aber dann schüttelte er den Kopf. Die Angestellten der Autobahngesellschaften waren keine Polizisten. Sie hatten anderes zu tun, als nach Verdächtigen zu suchen. Allenfalls ein hinter der Ausfahrt stationierter Polizeiwagen konnte sich um Gambino kümmern. Aber davon war nichts zu sehen.
Der Lkw-Fahrer reichte ein Geldscheinbündel aus dem Fenster und nahm seine Quittung entgegen, dann konnte er weiterfahren.
»Na, ausgeschlafen, signore? Sie waren ja vorhin ganz schön schnell weggetreten…«
»Wie lange habe ich denn geschlafen? Ich hatte eine ziemlich lange Nacht hinter mir«, versuchte Gambino eine Erklärung. »Zweimal rund um die Uhr aktiv gewesen…«
»Und dann der Unfall? Kein Wunder… Sie hätten sich gar nicht mehr hinters Lenkrad setzen dürfen. Wo lag denn der Wagen? Ich habe überhaupt nichts gesehen… ach so. Es ist jetzt sieben Uhr.«
Gambino verzog das Gesicht. »Der Wagen ist im Acker gelandet. Ein paar Kilometer hinter der Stelle, wo Sie mich aufnahmen. Totalschaden.«
»Teuer?«
»Ja«, sagte Gambino. Aber das konnte er verschmerzen. Er hatte Geld genug. Die Sekte hatte ihm nicht nur seinen Einfluß und seine Stellung als Dozent an der Hochschule verschafft, sondern auch dafür gesorgt, daß sich sein Bankkonto, vorher noch ständig um Null pendelnd, sehr rasch füllte. Mit einer entsprechenden Bankbestätigung konnte er jederzeit drei GTOs auf einmal als Ersatz kaufen. Deshalb weinte er dem Wagen selbst keine Träne nach.
»Wohin fahren wir jetzt? Ich dachte, Sie wollten nach Padua.«
»Frühstückspause. Ich hole mir am Stadtrand ein paar Brötchen. Ich hab’ hier meine ganz persönliche Anlaufstelle. Ich fahre zweimal die Woche hier entlang. Da spielt sich so etwas ein. Den Fraß, den es’ an den Autobahnraststätten gibt, mag ich nicht.«
Das war Geschmackssache, über die Gambino nicht streiten wollte. Er dachte an etwas anderes. »Kommen wir in der Nähe des Flughafens vorbei, signor?«
»Der aeroporte liegt zu weit ab. Was wollen Sie denn da?«
»Fliegen… nichts gegen Ihren Wagen, aber gegen meinen ist er doch ein wenig langsam.«
»Lancia?«
»GTO…«
Der Fahrer pfiff durch die Zähne. »Bella macchina …und den haben Sie verschrottet? Das tut ja in der Seele weh! Und jetzt fliegen Sie nach Maranello, um den nächsten persönlich zu bestellen, wie?«
»So ähnlich.« Gambino grinste. Er griff in die Tasche, holte das Etui mit den Kreditkarten und Papieren heraus und fischte die Zulassung des verbrannten Wagens heraus. »Hier, signore. Als Andenken an die Nacht Ihrer Hilfeleistung. Ich kann damit nichts mehr anfangen, weil der Wagen nur noch als ein Haufen ausgeglühtes Metall existiert.«
Der Fahrer brachte das Kunststück fertig, mit einer Hand seinen Lkw zu lenken, mit der anderen die Ferrari-Zulassung zu halten und sie intensiv zu studieren. Sein Wagen schien die Straße zu kennen, weil er auch drauf blieb, ohne daß der Fahrer hinsah. Gambinos Grinsen erlosch; er wurde ob der blinden Fahrkünste des Mannes ein wenig blaß um die Nase.
»Mille grazie, signor Gambino«, strahlte der Fahrer. »Dieses Stück Papier werde ich in Ehren halten. Und wenn ich irgendwann einmal einen Ferrari stehle, lasse ich nach diesem Papier die Fahrgestellnummer
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