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04 - Herzenspoker

04 - Herzenspoker

Titel: 04 - Herzenspoker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Chesney
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der
Ausdruck seiner fröhlichen blauen Augen unter den schweren Lidern war
gewohnheitsmäßig verwegen. Er trug Zivilkleidung, einen blauen Tagesrock mit
geflochtenen Knöpfen, Lederkniehosen und hohe Stiefel. Sein Halstuch war
raffiniert gewickelt und frisch gestärkt. Einen überraschenden Kontrast zu
dieser schlichten Eleganz bildete seine Weste, auf der sich gestickte goldene
und rote Paradiesvögel tummelten. Als die beiden Freunde die neue Flasche
angebrochen hatten, trat zwischen ihnen ein einvernehmliches Schweigen ein.
    Sie
saßen im Garten eines Wirtshauses in Croydon. Im Gras leuchteten die Krokusse,
und die Bäume, deren Äste noch unbelaubt waren, ragten in den blassblauen
Himmel hinein.
    Eine
riesige aufgeplusterte Wolke zog über ihren Köpfen hinweg und erinnerte Lord
Guy an das Schiff, das ihn heimgebracht hatte. Heim! Wie seltsam das klang.
Sein Heim war ein Haus, das er für ein paar Monate in der Hauptstadt gemietet
hatte. Sein Gewissen befahl ihm, sobald die Saison vorbei war, an die Front
zurückzukehren.
    Im
Grunde hätte er gleich dort bleiben können. Sein Fieber, so heftig es auch
gewesen war, hatte sich schnell gelegt, ihn aber schwach und antriebslos
gemacht. Die Heimreise war ruhig und erholsam gewesen, und er war sehr schnell
wiederhergestellt. Doch im Moment hatte er den Krieg und das Blutvergießen
gründlich satt. Er wollte sich mit den hübschesten Frauen der Hauptstadt
umgeben und sich all den leichtsinnigen, dummen Freuden hingeben, die das Leben
alleinstehenden Herren bot. Er hatte vor, keinem einzigen ernsthaften Gedanken
Zutritt zu seinem Hirn zu gestatten, bis es Zeit war, zurückzugehen.
    Heiraten
wollte er nicht. Frauen musste man wie guten Wein genießen und mit Hochachtung
behandeln, und wie beim Wein gab es auch bei ihnen eine verführerische
Vielfalt, auf die man sich freuen durfte.
    Eine
Stunde und eine weitere Flasche später bemerkte Mr. Roger beschaulich, dass die
Sonne untergehe und es gar nicht mehr sehr warm sei.
    »Das
Haus, das ich für uns gemietet habe«, sagte Lord Guy und erhob sich, »steht
unter einem unglücklichen Stern, hat mir einer erzählt.«
    »Das muss
ein Spieler gewesen sein«, sagte Mr. Roger mit weisem Nicken und musste dann zu
seiner Überraschung feststellen, dass er nicht mehr mit Nicken aufhören konnte.
»Sie sind eine abergläub ... abersche ...«
    »Abergläubisch«,
sagte Lord Guy mit einem Lächeln. »Du hast einen Rausch, Tommy.«
    »Bei
Gott, das ist wahr! Wunderbar!«
    »Wo ist mein Diener,
Manuel?«
    »Du
brauchst dich nur umzusehen. Er liegt immer auf der Lauer. Mir verursacht er
eine Gänsehaut.«

    In der Clarges
Street Nr. 67 war es mittlerweile dunkel geworden. Man hatte die Öllampen und
Kerzen angezündet. Mrs. Middleton, vom langen Warten müde, schlief in einem
Sessel in der Halle; ihre große gestärkte Rüschenhaube warf einen Schatten auf
ihr Gesicht, das selbst im Zustand der Ruhe verschreckt und ängstlich wirkte.
Joseph manikürte seine Nägel. Der Schnorrer, der Küchenkater, war der einzige
im Haus, der die Haustür mit einem ebenso aufmerksamen wie komischen Ausdruck
der Erwartung nicht aus den Augen ließ.
    »Ich
bin unten«, murmelte AngusMacGregor müde. »Ich glaube nicht, dass er
jetzt noch kommt.« Er nahm seine weiße Kochmütze vorn Kopf, so dass sein
feuerrotes Haar sichtbar wurde, kramte in der Mütze herum, brachte einen
Zigarrenstummel zum Vorschein und zündete ihn an einer Kerze an.
    »Dann
nimm dieses ekelhaft stinkende Ding mit, Angus«, sagte Rainbird
schlechtgelaunt. »Jenny hat in allen Zimmern Rosenwasser versprengt, und was
hat das für einen Sinn, wenn du die Luft so verpestest?«
    »Es
kommt jemand«, sagte Lizzie.
    »Ich
habe die Haustür heute schon hundertmal aufgemacht«, sagte Rainbird. »Es ist
nur eine Kutsche, die von einer Abendgesellschaft zurückkommt.«
    Angus
ging gerade auf die Hintertreppe zu, als es an der Tür heftig klopfte.
Türklopfen war in London eine Kunst, dem Trommeln vergleichbar. Die Anzahl der
Klopfer, ihre Lautstärke und der Rhythmus, mit denen sie erfolgten, ließen auf
die Bedeutung des Besuchers schließen. Dieses Klopfen war so energisch und
schwungvoll wie das eines königlichen Lakaien.
    Angus
warf seine Zigarre zurück in die Mütze und stülpte sie sich über den Kopf. Mrs.
Middleton schreckte zusammen und erwachte. Rainbird zog seine Weste straff und
eilte zur Tür, während sich alle Diener hinter ihm in der Halle aufreihten.
    Er riß
die Tür auf. Ein

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