04 - komplett
hätte Eleanor sich vor dem schmerzerfüllten Blick seiner blauen Augen verkrochen, denn waren ihr bisher auch häufig Zweifel an seiner Liebe gekommen, so trat diese jetzt unleugbar hervor. Sie verstand sehr wohl, dass sie im Begriff stand, Kits Vertrauen und seinen Hoffnungen den Todesstoß zu versetzen, vermochte ihm die fällige Erklärung aber nicht zu gewähren, war sie doch gleichermaßen Sklavin ihrer Furcht, ihm nicht alles geben zu können, wie die ihres Stolzes.
Für eine kleine Ewigkeit schauten sie sich unverwandt an, wobei der Ärger nach und nach in Kits Augen erlosch. „Nell ...“, nannte er sie beim Kosenamen, sanfter als jemals zuvor. „Worum geht es wirklich? Ich kann nicht glauben, dass dies Ihr ehrlicher Wunsch ist ...“
„Es muss geschehen, wie ich sage“, beteuerte sie, den Blick abwendend.
„Doch glaube ich es nicht“, widersprach er erneut, wobei er ihren Arm so fest packte, dass es ihr wehtat, „weil ich es nicht verstehe! Sie gestanden, dass ich Ihnen nicht gleichgültig bin, und fordern trotzdem die Freiheit ...“ Erbleichend ließ er sie los.
„Eleanor, sehen Sie mich an, und wiederholen Sie Ihre unsinnige Forderung, wenn Sie es wirklich ernst meinen!“
Kurz zwang sie sich, seinen Augen zu begegnen. „Ich meine es ernst“, bekräftigte sie ihre Entscheidung mit tonloser Stimme.
Voll Abscheu trat Kit einen Schritt zurück. Eleanor aber erschauerte vor Qual und spürte, wie eine entsetzliche Kälte sich in ihr ausbreitete.
„So nehme ich dies zur Kenntnis, Mylady“, erklärte er scheinbar ruhig, doch in seinen Augen loderte Zorn, „wenn ich auch Ihre Beweggründe nicht verstehe, weshalb wir zu späterer Zeit erneut darüber sprechen werden. Im Übrigen verweigere ich der Annullierung unserer Ehe meine Zustimmung. Haben Sie mich gut verstanden? Die Ehe bleibt bestehen!“
Einer heftigen Regung folgend fegte er sein leeres Weinglas vom Kaminsims zu Boden, wo es in tausend Stücke zersprang. Eleanor erschrak zutiefst.
„Sie haben recht“, sagte er bitter. „Es ist besser, wenn Sie jetzt gehen.“
Mit letzter Kraft erreichte Eleanor ihr Schlafzimmer, wo sie ermattet aufs Bett sank.
Sie fühlte sich benommen und wurde von Schüttelfrost geplagt. Wieder und wieder tadelte sie sich dafür, Kits Reaktion nicht vorhergesehen zu haben. Wie hatte sie auch nur einen Augenblick annehmen können, er werde der Auflösung ihrer Ehe zustimmen, ohne dass sie ihm plausible Gründe nannte?
Beschämt schlug sie die Hände vors Gesicht. Sie hatte ihren Gatten durch ihre Verschlossenheit grausam verletzt, ohne sich selbst damit zu helfen. Es dämmerte ihr, wie sehr er es verdiente, dass sie endlich ehrlich zu ihm war. Schließlich besaß er ein natürliches Recht darauf, von dem Kind zu erfahren, das sie beide verloren hatten. Auch musste er Kenntnis davon erhalten, welch panische Angst sie davor umtrieb, dies noch einmal erleiden zu müssen und ihm keine Nachkommen schenken zu können ... Trotz aller Einsicht aber vermochte sie sich ihm nicht anzuvertrauen, hielt sie ihren entsetzlichen Kummer doch zu tief in sich begraben.
Obwohl Kit nach und nach durch die sie trennenden Mauern zu ihr durchgedrungen und ihre Liebe zueinander wieder fühlbar war, glaubte Eleanor unbeirrt, auf diese verzichten zu müssen.
Schluchzend rollte sie sich zusammen und ließ ihren Tränen freien Lauf.
Eleanor erwachte mit schmerzenden Augen. Am liebsten hätte sie sich noch einmal die Decke über die Ohren gezogen und sich vorgegaukelt, es sei nichts Gravierendes geschehen, doch regte sich ihr Kummer bereits in schlimmster Form. Aus einem ihrer Augenwinkel stahl sich eine Träne hervor und fiel auf das Kopfkissen, woraufhin sie schnell aus dem Bett sprang, um sich in Betriebsamkeit zu retten, anstatt sich in Selbstmitleid zu ergehen.
Sie klingelte nach Lucy, blickte dann in den Spiegel und bereute sofort ihre Voreiligkeit, denn sie sah so mitgenommen aus, dass ihre Zofe es gleich bemerken und lauthals kommentieren würde.
In der Tat ließ Lucy vor Schreck fast die Kanne mit dem heißen Waschwasser fallen, als sie ins Zimmer trat und ihrer Herrin ansichtig wurde.
„Du lieber Gott! Madam!“, rief sie aus. „Sind Sie krank? Sie sehen ja furchtbar aus!“
„Vielen Dank auch, Lucy“, antwortete Eleanor mit müder Stimme. „Nein, krank bin ich nicht, doch habe ich Kopfschmerzen. Bitte versuche, mich so gut herzurichten, wie es eben geht.“
Eine volle Stunde verging, bevor Eleanor, inzwischen
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