04 - komplett
von ihrer Zofe gewaschen, gekämmt, onduliert und mit einer speziellen Rosenblütencreme zum Beleben des Teints eingerieben, auf Zehenspitzen die Treppe hinunterschlich. Kaum hatte sie einen Fuß in die Halle gesetzt, als sich auch schon die Tür zum Salon öffnete und Kit heraustrat, der einen herzerweichenden Anblick bot, wirkte er doch noch mitgenommener als sie selbst.
„Guten Morgen, Eleanor“, begrüßte er sie mit kühler Höflichkeit. „Ich würde es sehr begrüßen, wenn Sie mir einen Augenblick Ihrer Zeit schenken könnten.“
Dies widerstrebte ihr zutiefst, doch konnte sie sein Ansinnen kaum abschlagen, da er ihr bereits die Tür aufhielt. Also schritt sie widerwillig hindurch und in den Raum hinein, worauf die Tür leise hinter ihr ins Schloss fiel.
„Ich habe die ganze Nacht über unser Gespräch nachgedacht, Eleanor“, sagte Kit nach kurzem Schweigen. „Beharren Sie noch immer darauf, unsere Ehe für null und nichtig erklären zu lassen?“
„So ist es“, antwortete sie leise.
Als habe er auf eine andere Antwort gehofft, schloss er kurz die Augen. „Ich verstehe“, bemerkte er in ruhigem Ton. „Was für Gründe führen Sie an?“
„Gestern habe ich bereits alles gesagt“, gab sie zurück, während Panik in ihr aufkeimte, glaubte sie doch, eine solche Befragung nicht noch einmal durchstehen zu können. „Ich bin eben sicher, dass unsere übereilte Heirat ein Fehler war! Jeder sollte eine neue Chance bekommen ...“
„Gibt es denn jemanden, den Sie lieber ehelichen möchten?“, fragte er. „Geht es um einen anderen Mann, Eleanor?“
„Nein!“, begehrte sie auf. „Wie können Sie so etwas sagen, Kit? Ich denke dabei nur an Sie ...“
„Wie überaus freundlich von Ihnen!“, unterbrach ihr Gatte sie in solch schneidendem Ton, dass sie schlucken musste, um nicht in Tränen auszubrechen. „Doch leuchtet mir Ihre uneigennützige Menschenliebe nicht ganz ein! Die wahren Beweggründe verschweigen Sie mir, meine Liebe, indes bin ich entschlossen, das Rätsel aufzudecken. Haben Sie wirklich nicht die Absicht, mich zu strafen?“
„Nein, und nochmals nein!“, rief sie vehement aus.
„Trotzdem geben Sie mir keine andere Erklärung“, erwiderte er in ruhigem Ton. „Ich aber muss erfahren, was Sie mir zu verheimlichen suchen!“
Gequält wandte sie sich ab. „Es gibt nichts weiter ... Ich will nur das Beste ...“, stammelte sie.
„Bis ich die Wahrheit weiß, Eleanor, werde ich nicht aufgeben, Sie zu befragen“, beschied Kit ihr in aller Entschlossenheit. „Jetzt aber will ich ausgehen. Guten Tag.“
Nach einer knappen Verbeugung verließ er das Zimmer.
Eleanor sank auf das Sofa, verzweifelt die Hände ringend, fürchtete sie doch, weitere Auseinandersetzungen nicht ertragen zu können. Unvermittelt sprang sie wieder auf, stürmte aus dem Salon, die Treppe hinauf und in ihr Gemach. Dort rief sie nach ihrer Zofe, die prompt erschien und verwirrt zusah, wie ihre Herrin einen Handkoffer aus dem Wandschrank zerrte und aufs Bett warf.
„Lucy, wir fahren für eine Weile aufs Land, nach Trevithick“, teilte Eleanor ihr atemlos mit. „London langweilt mich! Ich brauche dringend Abwechslung!“
„Sehr wohl, Madam“, gab das Mädchen ratlos zurück. „Wenn Sie das für einen guten Einfall halten ...“
„Und ob!“, unterbrach Eleanor sie ungeduldig. „Falte bitte sorgfältig alle meine Kleider zusammen.“
Nun kam auch Lucy durcheinander. „Werden Sie denn alle Abendkleider auf dem Lande brauchen, Madam?“, fragte sie verwirrt.
„Die Tageskleider meinte ich!“, brauste Eleanor auf, von dem Wunsch besessen, das Haus so schnell wie möglich zu verlassen. „Beeile dich, Lucy, und vergiss meine Unterwäsche nicht!“
Während die Zofe noch gehorsam die Schubladen ausräumte, schwang die Tür auf, und Kit trat ins Zimmer.
„Was geht hier vor?“, fragte er misstrauisch. „Warum packen Sie Ihre Sachen?“
Entsetzt fuhr Eleanor zusammen. „Lass uns allein, Lucy!“, fauchte sie wütend, ärgerte sie sich doch, in ihrer Kopflosigkeit mit dem Packen begonnen zu haben, ohne sich zu versichern, dass ihr Gatte das Haus tatsächlich verlassen hatte.
„Wollen Sie mir bitte antworten?“, fragte Kit mühsam beherrscht, als die Zofe hinausgehastet war, blickte seiner Gemahlin ins schuldbewusste Gesicht, bis sie gequält die Augen schloss, und trat dann zu ihr.
„Ich deute die Umstände wohl richtig“, sagte er, sich nun eines ausgesucht höflichen Tones befleißigend.
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