04 - komplett
mal ein Schlückchen nahm, ohne zu ahnen, wie schädlich Laudanum sein kann! Erst die Ausführungen Lady Salomes öffneten mir die Augen.“
Sie seufzte. „Mein Gott, wie traurig! Was können wir bloß tun?“, fuhr sie fort und wandte sich an Marcus.
„Ich denke, das Beste ist, mit ihr zusammen London für ein Weilchen zu verlassen“, antwortete er mit grimmiger Miene. „Vielleicht hilft es ihr, zurückgezogen auf unseren Gütern zu leben, zumal ein Enkelkind unterwegs ist ...“
Darauf schwiegen alle bedrückt, denn die Hoffnung auf Besserung des Leidens der Witwe durch einen Ortswechsel schien doch recht vage.
„Entschuldigt bitte, doch ich möchte jetzt nach Hause“, erklärte Eleanor, die aufstand und verstohlen gähnte. „Es ist spät geworden, und ich bin ausgesprochen müde!“
Damit gab sie auch den anderen das Signal zum Aufbruch. Während man gemeinsam in die Halle hinausging, verabredeten Marcus, Justin und Kit sich für den nächsten Tag zur Pferdeauktion bei Tattersalls, wozu Beth ausdrucksvoll die Augen verdrehte.
„Man könnte glauben, dass sie niemals Streit miteinander hatten!“, flüsterte sie Eleanor zu. „Doch kommt mir ihr Treffen sehr gelegen, weil ich dringendst mit dir sprechen muss, Nell! Kann ich dich morgen besuchen? Oh ...“ Damit rutschte sie urplötzlich auf einem Wachsfleck aus und verlor den Halt.
Eleanor versuchte noch, nach ihr zu fassen und ihren Sturz zu verhindern, doch war es zu spät. Mit spitzem Schrei schlug ihre hochschwangere Freundin auf dem harten Marmorboden auf, wobei sie seltsam verdreht auf einer Seite landete. Aschfahl sank Eleanor neben ihr nieder und fasste entsetzt ihre Hand. „Beth!“, rief sie verzweifelt,
„hast du dir wehgetan?“
Diese drehte sich vorsichtig und setzte sich dann stöhnend auf, während alle anderen herbeieilten. Marcus nahm seine Gemahlin mit solcher Zartheit in die Arme, dass Eleanor der Atem stockte.
„Beth ...“, flüsterte er, zutiefst besorgt.
„Mir geht es gut“, behauptete Beth mit bebender Stimme. „Sorge dich nicht; es ist ja nichts passiert.“
„Bist du da sicher?“, fragte ihr Gemahl, dem die Angst hörbar die Kehle abschnürte, und umschlang sie fester.
„Ja, durchaus!“, beteuerte sie. „Zumindest, wenn du aufhörst, mich so zu quetschen, und ich mich endlich bewegen darf. Ich bin ja nur ausgeglitten und aus keiner großen Höhe gestürzt!“
„Aber das Ungeborene ...“, gab Marcus zu bedenken.
„Hab keine Angst, es geht ihm bestens.“ Damit versuchte Beth, auf die Füße zu kommen. „Uff! Kurzatmig bin ich, das allein ist sicher!“
Jetzt schritt Charlotte ein, die in medizinischer Hinsicht bewandert war, da sie einst ihren ersten Ehemann und dessen Regiment als Krankenpflegerin während eines Feldzuges auf die Pyrenäenhalbinsel begleitet hatte.
„Beth, sei jetzt ruhig und bleib liegen!“, befahl sie freundlich, aber bestimmt. „Kannst du sie nach oben tragen, Marcus?“, fuhr sie fort. „Wahrscheinlich stieß ihr außer dem Schreck nichts zu, doch ist es besser, einen Doktor hinzuzuziehen. Könntest du bitte einen Diener losschicken, Justin? Ich weiche nicht von Beths Seite.“
Ihre Anweisungen wurden trotz der von ihrer Cousine wortreich vorgetragenen Einwände ausgeführt, woraufhin schon zehn Minuten später der Arzt erschien und in den oberen Gemächern verschwand. Kit und Eleanor fanden sich allein im Salon wieder, um dort auf verlässliche Nachricht über Beths Zustand zu warten.
Verstohlen die Hände ringend saß Eleanor auf dem Sofa und zitterte in der Furcht, Beth könne ihr Kind ebenfalls verlieren ...
„Ich könnte es nicht ertragen, wenn Beth dasselbe zustößt!“, brach es unvermittelt aus ihr hervor, wobei sie den Kopf senkte und sich wie im Schmerz zusammenkrümmte. Kit, der vor dem Kamin stand und ein dickes Scheit in die Flammen warf, hielt wie vom Schlag getroffen inne, heftete den Blick auf seine erschütterte Gemahlin und setzte sich im plötzlichen Erkennen ihres Leids neben sie.
„Wie kann Beth glauben, dass sie eine Tochter bekommt?“, erkundigte er sich scheinbar unbefangen in der Absicht, Eleanor zunächst abzulenken.
„Wie bitte?“, fragte sie befremdet und blinzelte verwirrt.
„Beth sprach vorhin von ihrem Kind, als sei es weiblich!“, antwortete er lächelnd.
„Ach das!“, hauchte sie und lächelte zurück, wobei es ihr gleich wärmer ums Herz wurde. „Sie wünscht sich eine Tochter als erstes Kind und erst als zweites einen Sohn,
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