04 - komplett
Kleider zu schenken!“
„Doch, ich kann es mir sehr wohl leisten.“ Cassie griff nach einem Paisley-Schal und zwei reizenden Hüten und legte sie auch noch zu dem Kleiderstapel. „Tante Gwendoline war so unglaublich reich, Sarah. Ich wäre fast gestorben, als der Anwalt ganz aus Cornwall zu mir kam, um mir zu eröffnen, dass sie mir alles vermacht hat.
Sie war Mamas ältere Schwester, und ich erinnere mich vage daran, sie gesehen zu haben, als Mama mit mir zu ihr fuhr. Es muss wenige Monate vor Mamas Tod gewesen sein.“
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, doch sie wischte sie energisch fort.
„Liebste Cassie“, sagte ihre Freundin. „Sie fehlt dir immer noch sehr, nicht wahr?“
„Ich weiß, es ist lange her – ich war erst vierzehn, als sie erkrankte –, aber ich liebte sie so sehr. Damals hatte ich wenigstens Vater und Jack. Sie beide so plötzlich zu verlieren ...“ Sie schluckte mühsam. „Vor allem Jacks Verlust ist unerträglich. Ich vermisse ihn so sehr, Sarah.“
„Ich weiß.“ Die beiden Mädchen umarmten sich. „Und dann eröffneten die Anwälte dir auch noch, dir blieben nur wenige Monate Zeit, eine andere Bleibe zu finden. Es ist so ungerecht, dass ein Gutsbesitz immer an den nächsten männlichen Verwandten gehen muss, selbst wenn es sich dabei nur um einen entfernten Cousin handelt.“
„Es war ja sowieso nicht viel übrig, nachdem die Schulden bezahlt worden waren.
Nur das Haus und ansonsten lediglich diverser Krimskrams. Trotzdem hat es mich getroffen, dass ich gehen musste. Besonders da Vaters Cousin Kendal so abscheulich ist. Ich konnte es kaum erwarten, endlich zu verschwinden, dabei wusste ich nicht, wohin.“
„Du hättest zu uns kommen können“, erinnerte Sarah sie. „Ich wäre so froh darüber gewesen. Papa hat dir doch gesagt, dass du mit mir im selben Zimmer schlafen und so lange bei uns bleiben kannst, wie du nur willst.“
„Dein Vater ist so freundlich“, meinte Cassie lächelnd, „aber ich wollte euch nicht zur Last fallen. Nein, ich hatte insgeheim schon beschlossen, mich als Gouvernante oder Gesellschafterin zu verdingen. Und dann hinterließ die gute Tante Gwendoline mir ihr Vermögen. Jetzt wünschte ich, ich hätte ihr öfter geschrieben. Andererseits hat sie mich nie ermutigt. Deswegen kam mir wohl auch gar nicht der Gedanke, sie um Hilfe zu ersuchen.“
„War sie in ihren letzten Jahren nicht zu einer richtigen Einsiedlerin geworden?“
„So wurde mir gesagt. Sie hieß uns schon nicht besonders willkommen, als Mama und ich sie besuchten. Trotzdem hinterließ sie mir ihr gesamtes Vermögen.“
„Und jetzt reist du nach London und lernst einen gut aussehenden Mann kennen.“
„Oh, mindestens ein Dutzend“, warf Cassie fröhlich ein. „Ich habe die Absicht, ein großer Erfolg zu werden, obwohl ich keine Schönheit bin. Ein Vermögen lässt viele über das eher unscheinbare Aussehen einer Dame hinwegsehen.“
„Du bist nicht unscheinbar“, protestierte Sarah. „Papa sagt, du bist eine ansehnliche Frau. Und aus seinem Mund ist das ein großes Kompliment.“
„Ja, in der Tat!“ Cassie musste lachen. Sie war zwar nicht, was man gemeinhin schön nannte, aber sie konnte auch nicht hässlich genannt werden. Zumindest dürfte ihr Aussehen keinen Gentleman entmutigen, der von ihrem beachtlichen Vermögen erfuhr. „Ich weiß das, und es erfreut mich sehr.“
„Wann fährst du also?“
„Sobald Mrs. Simmons meinen Brief beantwortet hat. Lady Fitzpatrick hat sie mir als Anstandsdame empfohlen. Ohne eine respektable Anstandsdame kann ich unmöglich nach London. Sie verleiht mir das nötige Ansehen, damit ich in der besten Gesellschaft aufgenommen werden kann.“
„Sie wird dir sicher bald antworten“, meinte Sarah ein wenig wehmütig. „Wie sehr du mir fehlen wirst, Cassie!“
„Nun, das ist gar nicht nötig“, sagte Cassie, einen plötzlichen Entschluss fassend.
„Warum kommst du nicht mit mir? Es würde sich nicht gehören, wenn wir beide allein nach London reisen, weil du erst neunzehn bist. Ich bin zwar schon einundzwanzig, aber ohne Begleitung zu reisen wäre auch für mich unschicklich. Wie viel glücklicher wäre ich, wenn du Mrs. Simmons und mich begleiten würdest.“
Sarah sah sie ungläubig an. „Das meinst du nicht ernst? Nein, nein, Papa kann es sich nicht leisten, mich gehen zu lassen.“
„Du wirst deinen Vater nicht um Geld bitten müssen“, beruhigte Cassie sie. „Die Kleider, die ich dir schon gegeben habe,
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