04 - Lebe lieber untot
„Sie hatten recht.“
Als sie nach unten sah, stand die Leiter schon wieder auf ihrem Platz. Eine volle Sekunde lang blickte sie siegreich hinunter, ehe sie noch mal einen Blick nach oben warf.
Die Leiter - das Regal. Leiter. Regal. Verwirrung trübte ihre babyblauen Augen.
„Das ist aber komisch. Es sieht auf einmal viel weiter aus -“
„Ich glaube, wir kennen uns noch nicht“, unterbrach ich sie und schenkte ihr mein strahlendstes Lächeln. „Ich bin Lil Marchette.“ Ich trat einen Schritt zurück, während sie hinunterkletterte. „Mir gehört die Partnervermittlung ein paar Blocks von hier entfernt.“
„Carmen“, erwiderte sie und stützte den Behälter auf ihrer linken Hüfte ab.
Carmen Gianno, um genau zu sein. Italienerin in der vierten Generation und das einzige von neun Kindern, das noch nicht unter der Haube war. Sie hatte schon mal kurz davor gestanden, aber dann hatte ihr Partner sie nach acht Jahren verlassen, und so hatte sie von Beziehungen erst mal die Nase voll. Nachdem sie dann eine Weile solo gewesen war - zwei Jahre lang, um genau zu sein -, war sie nun unsicher, wie sie sich wieder ins Spiel bringen konnte, vor allem, da sie so beschäftigt war. An den Wochenenden war sie ehrenamtlich für ein örtliches HALTET-NEW-YORK-SAUBER-Projekt tätig, und in der Woche leitete sie die Kindertagesstätte der Kirche. In der Hoffnung, auf diese Weise einen Mann - und zwar einen Hetero, der sie nicht mit einem Börsenmakler namens Dean betrügen würde - kennenzulernen, hatte sie angefangen, an den Donnerstagabenden am Imbissstand zu arbeiten. Sie liebte Kinder und Kochbücher. Ihr größter Traum war es, eine traditionelle katholische Hochzeit zu haben, anschließend nach New Jersey zu ziehen und eine eigene Familie zu gründen. Entweder das oder aber der Kirche ewige Treue und Ergebenheit zu schwören und ins Kloster zu gehen. Sie war fest entschlossen, ihre Levi's aufzugeben und sich ein Pinguinkostüm zu kaufen, wenn ihr Traumprinz nicht innerhalb der nächsten sechs Monate auftauchte.
Ich musterte sie von Kopf bis Fuß. Aus den Keilschuhen blitzten pinkfarben lackierte Zehen hervor. Lange Beine in schlichten, aber gut passenden Jeans. Schmale Taille, von einem hammermäßigen Gürtel (ein Brighton-Imitat) umschlossen.
Annehmbarer Busen, von einer weißen Bauernbluse bedeckt -
Mein Blick blieb an dem tiefen Ausschnitt hängen, der über dem obersten Knopf sichtbar war. „Sind die Brüste echt?“
„Was?“
Ja, was?
„Ich, ahm, ich hab mich das nur gefragt, weil... „, beeilte ich mich hinzuzufügen, „weil ich darüber nachdenke, bei mir da was machen zu lassen.“ Schließlich konnte ich wohl kaum mit der Wahrheit herausplatzen: dass ich herausfinden wollte, ob ich es hier möglicherweise mit der zukünftigen Mrs. Balducci zu tun hatte. Noch nicht.
Erst musste sie Vinnie mal treffen. Um den Mann unter der rauen Schale (und dem Höschenfetisch) kennenzulernen. „Wer auch immer Ihre gemacht hat, er ist ein Genie.“
Sie lächelte. „Danke, aber der Einzige, dem diese Anerkennung gebührt, ist Er da oben. Und ein ziemlich teurer Wonder-bra mit Gel-Körbchen.“
„Fantastisch.“
Die nächsten fünf Minuten verbrachte ich damit, Carmen alles Wichtige über Dead End Dating zu erzählen, und darüber, wie ich ihr dabei helfen konnte, die Liebe ihres Lebens zu finden, nur für den Fall, dass sie daran interessiert wäre (Sie wissen schon). Was sie natürlich war. Wir reden immerhin über zwei Jahre.
Da sie bis zu den Achseln in Nacho-Käse steckte und Marge, die Leiterin des Imbissstandes, nicht am hektischsten Abend der Woche im Stich lassen konnte, machte ich einen Termin mit ihr aus; ich würde mich am nächsten Abend bei DED mit ihr treffen. Dann konnte sie ihren Fragebogen ausfüllen, ich würde ein kleines Zauberkunststück vollbringen und - bamm - da gäbe es gleich drei potenzielle Kandidaten (Vinnie, Vinnie, und hatte ich Vinnie schon erwähnt?). Und das alles für den unglaublichen und absolut einmaligen Preis von - Trommelwirbel bitte - null Dollar (da bei DED gerade eine Sonderaktion für katholische echte Blondinen lief, die in ihrer Gemeinde aktiv dienten).
„Das ist meine Art, etwas zurückzugeben“, erzählte ich Carmen, während ich ihr dabei half, den Käse samt drei riesigen Tüten Tortillachips zum Imbissstand zurückzutragen.
Als ich schließlich ging (nachdem ich Marge noch ihre eigene DED-Visitenkarte zugesteckt hatte), war ich ziemlich
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