04 - Lebe lieber untot
Sinn. Wenn Evie und ich auch alles teilen, von Modetipps bis hin zum ewigen Arger mit den Männern (sie fand Ty genauso megaliziös wie ich), hatte ich mich ihr gegenüber doch immer noch nicht geoutet (der Vampir war noch nicht aus dem Sarg). Nicht weil ich ihr nicht traute. Aber ich hatte meinen Eltern schon genug Leid zugefügt, indem ich die Nase über die Stelle im Familienunternehmen gerümpft hatte, die mir angeboten worden war (insbesondere den Schrank voller beigefarbener Dockers und limettengrüner Poloshirts, auch als Moe's Uniform bekannt). Da wollte ich auf gar keinen Fall auch noch das erste Gebot gebürtiger Vampire brechen - Du sollst dich unauffällig verhalten - und meinem sowieso schon befleckten Ruf noch einen weiteren Makel hinzufügen. „Und wieso genau tragen Sie die Schuhe des Hausmeisters?“
Sie sah genauso verwirrt aus, wie ich mich fühlte. „Ich weiß es wirklich nicht.“ Sie zuckte die Achseln und schloss mit einem lauten Knall den Schrank. „Ich schätze, ich war in Eile und hab mir einfach das erste Paar geschnappt, das mir unter die Augen kam.“ Sie ging wieder zu ihrem Schreibtisch zurück, öffnete die unterste Schublade und tauschte die Crocs mit einem Paar strassbesetzter Ballettschuhe, die sie, für den Fall, dass ihr die Zehen schmerzen sollten, immer dort aufbewahrte.
„Eine Ausrüstung zur Heißwachsbehandlung“, sagte sie, als das Modeuniversum wieder in Ordnung war.
„Kommt sofort.“ Sie griff nach ihrer Handtasche.
Zumindest dachte ich, es wäre ihre Tasche. Eine von diesen neuen, kastenförmigen Teilen von Chanel, die in Paris zurzeit der letzte Schrei waren.
Nur dass ich noch nie eine Chanel-Tasche gesehen hatte, auf der seitlich in leuchtend roten Buchstaben MANNY'S CHINESE TAKEOUT prangte.
Nach einem einzigen Blick auf den Karton vom Chinesen begannen Evies Hände zu zittern. Ihr Gesicht wurde noch blasser, und ihre Unterlippe bebte. „Was ist denn bloß mit mir los?“, fragte sie schließlich mit dermaßen leiser und verletzlicher Stimme, dass es mir die Brust abschnürte.
„PMS?“, erkundigte ich mich voller Hoffnung.
„Ich hatte meine Tage erst letzte Woche.“
„Post-PMS?“
Sie warf mir einen seltsamen Blick zu. „Sehr witzig.“
„Ich versuche ja nur, die Stimmung ein bisschen aufzulockern.“ So wohl kaum. Dank meiner DNS blieben mir solche monatlichen Heimsuchungen erspart (Tampons passten ja so was von überhaupt nicht zum Image eines hinreißenden und glamourösen gebürtigen Vampirs). „Vielleicht sind Sie ein bisschen durcheinander“ - und total verrückt - „weil Sie eine Grippe kriegen.“
Sie warf mir einen verzweifelten Blick zu. „Meinen Sie?“
Ich nickte, und sie zerrte am Kragen ihrer Bluse. „Mir ist wirklich ein bisschen heiß. Und irgendwie dreht sich das ganze Zimmer.“
„Warum machen Sie nicht Schluss für heute und gehen nach Hause?“
Sie sank auf ihren Stuhl und blinzelte ein paar Mal hintereinander, als wollte sie einen Schwindelanfall vertreiben. „Aber ich bin doch mit meinen Vorbereitungen für Montag noch gar nicht fertig. Ich muss noch einige Reservierungen machen und die betreffenden Klienten benachrichtigen und -“
„Das kann ich erledigen.“ Ich ignorierte den lächerlichen Drang, sie zu umarmen. Gebürtige Vampire umarmen niemanden. Sie grinsen spöttisch und behandeln andere von oben herab und benehmen sich überhaupt wie eingebildete Arschlöcher.
Andererseits drehte sich bei gebürtigen Vampiren alles um den allmächtigen Dollar. Da Evie meine ultraloyale Angestellte war, würde jegliches Bemuttern meinerseits unter die Kategorie gutes Asset-Management fallen.
Also sammelte ich ihre Sachen ein und zog sie auf die Füße. Dann legte ich meinen Arm um sie und steuerte sie nach draußen.
Einige Sekunden später verfrachtete ich sie auf den Rücksitz eines wartenden Taxis, gab dem Fahrer einen Zwanziger, Evies Adresse und einen Gedankenbefehl: Bring sie sicher nach Hause, sonst bring ich dich zur Strecke und benutz dich als Kauspielzeug.
„Nehmen Sie ein Bad, ziehen Sie sich einen bequemen Jogginganzug an und ruhen Sie sich vor dem Fernseher aus“, riet ich Evie, bevor ich die Tür schloss. „Nach ein paar Wiederholungen von CSI sind Sie dann so gut wie neu.“ Zu Ihrer Information: Meine Assistentin besaß nicht nur einen ausgezeichneten Geschmack, was Kleidung betraf, sondern stand auch auf David Caruso und das gesamte Team aus Miami.
Ich blieb noch stehen, bis das Taxi am Ende
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