04 - Lebe lieber untot
Spiegel, der in meinem Büro an der Wand hing, zum zigsten Mal sein Spiegelbild überprüfte.
Er trug eine beige Hose und ein blassblaues Hemd (das ich unterwegs auf dem Weg zur Arbeit für ihn besorgt hatte). Sein Haar war vollkommen gelfrei und leicht verwuschelt.
„Sie sehen perfekt aus.“
„Ich seh wie eine Schwuchtel aus.“
„Mit anderen Worten also: perfekt.“ Ich stellte mich hinter ihn und sah über seine Schulter hinweg. „Sie wird es lieben. Passen Sie lieber auf, dass Sie sich an alles erinnern, worüber wir gesprochen haben.“
Er nickte. „Ich darf nicht fluchen oder spucken oder irgendjemandem eins überziehen und ihn in den Kofferraum stopfen.“
„Was ist mit dem Keller?“, fragte eine bekannte weibliche Stimme. „Oder dem kleinen Raum unter der Treppe?“
Als ich mich umdrehte, sah ich Mia im Türrahmen stehen. Sie trug eine schwarze Lederweste, eine schwarze Lederhose und ein Paar kniehohe, mit silbernen Nieten verzierte Domina-Stiefel. Ihre Lippen leuchteten blutrot und ihr Teint wirkte gespenstisch blass.
Vinnie schien kurz davor zu stehen, sich auf sein Jackett und den nuklearen Zahnstocher in der Jackentasche zu stürzen, als. ich ihn am Arm berührte. „Ihr gehört ein Tattoo-Laden, sie ist einfach nur ein bisschen ausgeflippt.“ Mit anderen Worten: Sie ist kein eingetragenes Mitglied des Clubs der Untoten. „Hey, Mia.“ Ich lächelte meiner neuesten Klientin zu. „Sie sind früh dran.“
„Ich war mit meinem letzten Kunden schon eine halbe Stunde früher als erwartet fertig. Er hat ein richtig krasses Bild von Vincent Price auf den linken Unterarm bekommen. Sieht voll geil aus.“
„Toll.“
„Machen Sie auch Schlangen-Tattoos?“, fragte Vinnie, nachdem er sie von Kopf bis Fuß und dann noch einmal in umgekehrter Reihenfolge gemustert hatte.
„Soll das ein Witz sein? Ich lebe für Schlangen-Tattoos.“
Sie wies auf die Python, die sich um ihren Hals ringelte.
„Also, ich hab die hier zwar nicht selbst gestochen, aber die Vorlage ist von mir.“
„Gar nicht übel.“
„Von wegen. Das ist absolut obergeil.“ Sie lächelte.
„Cooles Outfit übrigens.“
Seine ganze Anspannung schien sich in einen Anfall von Unsicherheit aufzulösen. „Meinen Sie wirklich?“
Ihre roten Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.
„Nee.“ Sie schüttelte den Kopf. „Sie sehen aus wie ein ausstaffierter Obertrottel.“
Vinnie presste die Lippen so fest aufeinander, dass sie eine schmale Linie bildeten, und bewegte sich schon wieder auf sein Jackett zu.
„Der höflichere Ausdruck ist Schwuchtel“, sagte ich und schaffte es gerade noch, seine Hand festzuhalten, bevor sie in die Tasche greifen konnte. „Ganz ruhig“, fuhr ich ihn an. „Sie ist ein Mensch.“
„Sind Sie sicher?“
Hallo? Fangzähne, weißt du nicht mehr? „Ich erkenne einen Menschen, wenn ich ihn sehe“, flüsterte ich Vinnie zu. An Mia gewandt sagte ich: „Vinnie möchte gerne eine Frau finden, die er seiner Mutter vorstellen kann.“
„Dann sind Sie also nicht nur ein Obertrottel, sondern auch noch Mamas Liebling?“
Mia lächelte, Vinnie machte eine finstere Miene, und ich sah in einer kurzen, aber eindrucksvollen Vision das Blutbad vor mir, das in Kürze auf meinem furchtbar teuren Perser stattfinden würde, wenn ich nicht schnell eingriff.
„Vinnie, raus.“ Ich zeigte auf die Tür. „Mia, hinsetzen.“
Ich zeigte auf den Stuhl. „Na, macht schon, Leute. Nicht so lahm.“
Eine Minute später befand sich Vinnie auf dem Weg zu einer Teestube auf Manhattans Lower East Side, und Mia stocherte mit meinem Brieföffner in ihren Zähnen herum.
„Und?“, fragte sie, als ich mich hinter meinen Schreibtisch setzte und sie ansah.
„Ich denke, ich habe den perfekten Mann gefunden.“
Oder zumindest einen, der die Zeit überbrücken konnte, bis der Traumprinz tatsächlich auftauchte. „Er heißt Wes Johnson und ist Grafittikünstler.“
„Kreativ.“ Sie klopfte mit dem Brieföffner gegen ihren Vorderzahn. „Gefällt mir. Hat er was in der Hose?“
„Wie ein Pferd“, erwiderte ich. Mia lächelte. „Außerdem ist er vielseitig und tiefgründig. Abgesehen von seiner Kunst steht er auf Heavy Metal und Thrash-Partys. Er hat sogar ein Hobby.“
„Messerwerfen?“, erkundigte sich Mia hoffnungsvoll.
„Bodypiercing mit Sicherheitsnadeln.“
„Ich glaube, ich hab mich soeben verliebt.“
Vorläufig.
Bis ihr klar wurde, dass Wes in Wahrheit nicht mal annähernd ein so harter Typ
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