04 - Lebe lieber untot
Bizeps schimmerte im Mondschein, und sofort glitt mir ein aufgeregter Schauder übers Rückgrat hinab und wieder hinauf. „Du spionierst mir tatsächlich hinterher.“
„Das nennt man nicht Spionieren. Es heißt: auf dich aufpassen.
Und irgendjemand muss das ja tun, weil du es verdammt noch mal nämlich nicht machst.“ Er verzog das Gesicht und umklammerte das Handy so fest, dass sich seine Knöchel weiß abzeichneten. „Ich weiß genau, dass du letzte Nacht in dieser Bar warst.“
„Und wenn schon.“ Ich starrte in seine unfassbar blauen Augen, und mir wurde flau in der Magengegend. „Wir leben in einem freien Land. Soviel ich weiß, brauche ich keine Sondererlaubnis, um mit meinen Freundinnen etwas trinken zu gehen.“
„Es sei denn, ein gefährlicher Dämon treibt sein Unwesen und ist auf der Suche nach neuen Opfern.“
„Ich wage ernsthaft zu bezweifeln, dass er ausgerechnet mich zerstückeln will. Schließlich hat er sich bisher ausschließlich an Menschen vergangen. Lebende, atmende Menschen. Ich bin ihm viel zu tot.“
„Oder einfach nur viel zu stur.“
„Ganz egal. Jedenfalls bin ich vor ihm sicher.“
„Und was ist mit deinen Freundinnen?“
„Ich bin absolut in der Lage, Evie zu beschützen.“
Schuldgefühle nagten an mir, als ich diese Worte aussprach, weil ich genau wusste, dass es meine Schuld war, dass sie jetzt mitten in der Luft schwebte und unschuldige Schuhe vollschleimte. Ich hatte sie in Raum A geschickt, damit sie sich um Earl Hubert Stanley kümmerte, mit nichts als einer Flasche Desinfektionsmittel und ihrer Freundlichkeit bewaffnet. Da hätte ich ihr auch gleich ein rohes T-Bone-Steak um den Hals binden und sie in einen Löwenkäfig schubsen können.
„Du bist bloß ein Vampir“, sagte Ty, als könnte er meine plötzliche Reue spüren. „Deine Fähigkeiten sind begrenzt. Für diesen Dämon ist jeder Mensch, Mann oder Frau, Freiwild. Selbst Evie.“
Besonders Evie.
„Tu uns doch bitte einen Gefallen“, fuhr Ty fort.
Offenbar hielt er mein Schweigen für ein Zeichen dafür, dass ich nachdachte, nicht aber für tiefsitzende Schuldgefühle.
„Und das nächste Mal sucht ihr euch eine Bar in SoHo oder Greenwich. Von mir aus in Brooklyn, wenn's sein muss. Hauptsache, weit entfernt vom Times Square.“
„Bist du fertig?“
„Kommt drauf an. Wirst du auf mich hören?“ „Tu ich das nicht immer?“ Ich lächelte ihn an und salutierte zum Schein vor ihm. Er grinste, und meine Beine bebten.
Böse Beine.
„Und was ist jetzt mit Remy?“, fragte Ty schließlich.
Seine Miene wurde wieder tiefernst, fast so düster, als wäre ihm gerade etwas eingefallen. „Was wollte er hier?“
„Er wollte ein Date.“
„Mit dir?“
„Spielt das eine Rolle?“
Das tat es. Ich sah es am plötzlichen Flackern seiner neonblauen Augen.
Zumindest glaubte ich, es gesehen zu haben, aber dann ließ das eifersüchtige Glimmen nach, und ich musste mich fragen, ob ich in Tys Gefühle nicht vielleicht doch mehr hineinlas, als vorhanden war.
Vielleicht war der Grund dafür, dass wir keine Beziehung hatten, gar nicht der, dass er keine haben konnte, sondern dass er keine wollte.
Vielleicht fühlte er für mich nichts als sexuelle Begierde, und den Rest bildete ich mir bloß ein. Vielleicht . .
Und vielleicht spielte es auch überhaupt keine Rolle.
Unabhängig vom Wie und Warum - wir waren nicht zusammen und würden es niemals sein, und es hatte keinen Sinn, über etwas zu jammern, was ich nicht bekommen konnte.
Stimmt's? Stimmt.
„Ich muss jetzt Schluss machen.“ Bevor er noch etwas sagen konnte, hatte ich die Ende-Taste gedrückt und mich von der Glastür abgewandt.
So leicht entkommst du mir nicht. Seine tiefe Stimme flüsterte durch meinen Kopf, und ich erstarrte.
Dann pass mal auf. Ich nahm all meinen Mut zusammen und errichtete die stärkste Gedankenblockade, die ich überhaupt zustande brachte. Zugegeben, ich konnte die emotionale Verbindung zwischen uns nicht dauerhaft abbrechen, aber ich konnte die Verbindung doch zumindest kurzfristig stören.
Ich nahm all meine Gedankenkraft zusammen und konzentrierte mich einzig und allein darauf, meinen Computer herunterzufahren, meinen Schreibtisch aufzuräumen und NICHT über Ty nachzudenken. Oder darüber, wie blau seine Augen waren oder wie sehr ich mir wünschte, ihn noch einmal küssen zu können.
Aber noch sehr viel mehr als ihn zu küssen sehnte ich mich danach, mit ihm zu reden. Ihm von Evie zu erzählen und dass ich
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