04 - Spuren der Vergangenheit
er im zarten Alter von siebzehn Jahren nicht erschlagen, sondern von dem menschlichen Geschoss nur schwer verletzt worden war.
Drei Dekaden war das jetzt her, und seither feierte er zweimal im Jahr Geburtstag. Ansonsten war er vom Glück nicht gerade verwöhnt worden.
Bis heute. Vielleicht.
Auf alle Fälle war er guter Hoffnung. Die Beschreibung, die der versoffene Suárez ihm von seinem Gast geliefert hatte, ließ kaum einen Zweifel, dass es sich um einen Volltreffer handelte.
Das schäbige Hotel war das fünfte auf Juans Liste, die er auf Weisung seiner Auftraggeber seit dem frühen Morgen abklapperte. Er wusste, dass er nicht der Einzige war, der sich auf Geheiß der Mächtigen in den Straßen Madrids umhörte. Umso erstaunlicher, dass ausgerechnet er fündig geworden zu sein schien.
Kaum dass er sich ein Stück weit vom Último Refugio entfernt hatte, kramte er das verschrammte Handy hervor, das ihm immer noch verlässliche Dienste leistete, auch wenn es aussah, als wäre es ein Fall für die Müllabfuhr, und wählte die Kurzwahlnummer, die ihn nach kurzem Warten mit seinen Auftraggebern verband.
Juan erklärte knapp und präzise, wer er war, was er herausgefunden hatte und wo die Belohnung hinterlegt werden konnte, die man ihm versprochen hatte. Die Stimme am anderen Ende blieb reserviert, sicherte ihm aber das vereinbarte Honorar am vereinbarten Ort zu, sollte sich sein Tipp als richtig erweisen.
Mehr konnte Juan nicht verlangen.
Von den Männern, die ihn und andere Spitzel rekrutiert hatten, war nicht viel bekannt – nur dass sie ihr Wort zu halten pflegten und nicht kleinlich waren. Gutes Geld für gute Arbeit.
Nachdem das Handy wieder in seiner Hosentasche verschwunden war, rieb sich Juan hoffnungsfroh die Hände.
***
»Maria!«
Tom Ericson hatte nicht erwartet, die Tochter des Hotelbesitzers so schnell wiederzusehen. Aber er musste sie nur anschauen, um zu wissen, dass etwas vorgefallen war, das sie zu ihm trieb.
»Hat er seine Wut wieder an Ihnen ausgelassen? Hat er Sie …« Er zögerte, »geschlagen« zu sagen.
Energisch schüttelte sie den Kopf. »Nein. Kann ich … kann ich kurz reinkommen?«
»Natürlich.« Tom gab die Tür frei.
Maria Luisa trat ein. Ihr Blick scannte kurz die Situation im Zimmer. Dabei entging ihr nicht, dass sie Tom offenbar mitten in seinen Vorbereitungen störte, das geheimnisvolle Buch zu übersetzen, das er ihr gezeigt hatte. Es lag aufgeschlagen auf dem Tisch am Fenster, ebenso wie mehrere der von Maria Luisa besorgten Bücher. Außerdem ein Schreibblock und ein Füllfederhalter, der Tom auf unzähligen Reisen begleitet hatte – das Geschenk einer bemerkenswerten Frau, die er nie aufgehört hatte zu schätzen.
»Sie sind ja ganz außer sich«, sagte er, schloss die Tür und wollte ihr folgen.
»Schieben Sie bitte den Riegel vor.«
Er hob eine Braue. »Ist das nicht übertrieben? Ihr Vater wird es nicht wagen –«
»Es geht nicht um mich. Es geht …« Sie zögerte, schürzte die Lippen und setzte neu an. »Es geht um Sie. Fürchte ich zumindest.« Sie erzählte vom Besucher ihres Vaters und der Geheimniskrämerei, die beide betrieben hatten.
»Und warum, meinen Sie, ist das für mich wichtig?«, fragte Tom, obwohl bereits sämtliche Alarmglocken in ihm schrillten.
»Sagen Sie es mir.«
»Was für eine merkwürdige Erwiderung …«
»Wenn Sie wollen«, ging das Temperament mit der rassigen Spanierin durch, »können Sie weiter denken, dass ich mich für dumm verkaufen lasse! Aber ich bin nicht so naiv, wie Sie offenbar glauben! Dass mit Ihnen etwas nicht stimmt, riecht jeder tonto zehn Meilen gegen den Wind!«
Tonto bedeutete Dummkopf. »Und trotzdem haben Sie mir geholfen, warnen mich jetzt sogar?«, fuhr er fort und grinste, während er längst Notfallpläne schmiedete.
Die billige Absteige war ihm bis zu dieser Minute relativ sicher erschienen. Aber er brauchte der Katalanin nur ins Gesicht zu schauen, um zu wissen, dass er von dieser schönen Illusion Abschied nehmen musste.
Nein, sie bildete sich ihre Befürchtungen nicht nur ein, sein Bauchgefühl war da eindeutig.
Eine junge Frau, die in der Bodega tagtäglichen Umgang mit vierschrötigen Kerlen hatte, entwickelte mit der Zeit einen sechsten Sinn, um Situationen und Menschen treffsicher einzuschätzen.
»Gibt es hier einen Hinterausgang?«, fragte er.
8.
Vergangenheit
Auch neun Jahreswechsel nach Oxlajs Tod gab es Momente, in denen Ts’onot seines einstigen Lehrers gedachte, der
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