04 - Spuren der Vergangenheit
einfach«, ermutigte ihn der Mann aus Licht, als Ts’onot ihn darauf ansprach. Der Tümpel läuft zur Mitte hin schräg zu, wie eine umgedrehte Pyramide. Die Fläche dort ist nicht größer, als du lang bist. Und wie ich schon sagte: Ich bin bei dir. Ich helfe deinen Augen, den Himmelsstein zu finden.«
Ts’onot biss die Zähne zusammen und nickte.
»Willst du dich erst ausruhen?«, fragte der Weiße. »Wir werden die Nacht ohnehin hier verbringen und erst bei Tagesanbruch heimwärts marschieren. Du hast die Wahl.«
»Nein. Bringen wir es hinter uns. Lieber ruhe ich mich danach aus, als alles noch vor mir zu haben.«
Dem Götterboten schien es recht zu sein. Wenig später begleitete er Ts’onot das abschüssige Gelände hinab zum Wasser. Noch vor dem Maya tauchte er ein. Kaum war er vollständig unter Wasser, leuchtete es an der Stelle auf, als hätte jemand ein Feuer unter Oberfläche entzündet.
Ts’onot folgte in das kalte Nass. Ein letzter Gruß zu seinen Gefährten am Ufer, dann schwappte das Wasser über seinem Kopf zusammen. Er öffnete die Augen – und sah den Weißen, den das Wasser nicht zu berühren schien! Jedenfalls blieben seine Kleidung und Haare so, als würde er sich auf dem Trockenen bewegen.
Und trotz all seiner Fähigkeiten kann er den Himmelsstein nicht selber bergen. Der Gedanke, dem Gesandten wenigstens in einer Hinsicht überlegen zu sein, beflügelte Ts’onot. Mit wuchtigen Schwimmstößen strebte er zum Grund des Tümpels, dem Weißen so nah, dass seine Arme manchmal in dessen Körper eintauchten.
Zu seinem eigenen Erstaunen erreichte er den Grund, noch bevor er ein Drängen verspürte, wieder zur Oberfläche zurückzukehren, um nach Luft zu schnappen.
Und wie der Weiße es versprochen hatte, war der Himmelsstein schnell ausgemacht. Ts’onot sah ihn in dem Moment, als das Licht des Weißen den Boden berührte.
Ts’onot brauchte nur noch danach zu greifen und wieder nach oben zu schwimmen.
Prustend durchstieß er die Wasseroberfläche und füllte seine Lungen gierig mit Luft. Dann erst reckte er die Faust, die den Stein umschloss, triumphierend nach oben.
Der Jubel der Krieger, die am Ufer warteten, blieb zu seinem Erstaunen aus. Stattdessen sah er, wie ihre Gesichtszüge entgleisten.
Sein Blick wechselte zur eigenen Faust – und fast hätte er die Finger gespreizt und den Fund zurück ins Wasser fallen lassen.
Seine Hand war ebenso verschwunden wie ein Teil seines Arms. Wie ein Stück Nacht verhüllte Schwärze den Blick auf den Himmelsstein.
Nachdem Ts’onot an Land gestiegen war, beruhigte der Weiße ihn und die anderen. Er erklärte, dass die Macht der Götter den Stein vor den Augen gewöhnlicher Sterblicher verbarg.
Dann führte er seine beiden Hände links und rechts des Himmelssteins – und ließ gleißende Helligkeit aus ihnen fließen. Und tatsächlich: Nun erkannten sie die Form des Körpers, der sich in dem Nachtfeld verbarg. Und wussten Sekunden später auch, warum die Götter seinen Anblick verhüllten – als nämlich Kopfschmerz in ihren Schädeln aufflammte wie zuvor die Helligkeit.
Man kann den Himmelsstein zwar sehen, aber doch mit Blicken nicht erfassen, erkannte Ts’onot und presste hervor: »Es ist genug!«
Der Weiße nahm seine Hände zurück und dämpfte das Licht, und sofort verschlang die wolkenartige Schwärze Stein und Hand wieder.
»Verwahre ihn gut«, forderte er Ts’onot auf. »Es gibt keinen Ersatz dafür, er ist einzigartig. Was darin schlummert, vermag eure Welt aus den Angeln zu heben …«
11.
Gegenwart
Der Sturz endete kurz vor dem Betonbelag des Hofes. Und er kostete ihn wider Erwarten nicht das Leben.
Tom Ericson rauschte in etwas hinein, das er von oben nicht hatte sehen können: einen winzigen Balkon, der von einer brüchigen Markise überdacht wurde und mit gepolsterten Gartenmöbeln bestückt war.
Der Stoff der Markise riss, bremste ihn aber ab, und die Plastikmöbel bescherten ihm nur einige blaue Flecken. Tom hätte schreien mögen vor Erleichterung.
Erst auf den zweiten Blick erkannte er, dass der Balkon von einem schmiedeeisernen Geländer begrenzt war; einen halben Meter weiter zum Hof hin hätten ihn die Zierspitzen aufgespießt wie ein Schwein vom Grill.
Apropos: Schwein gehabt!, dachte er in einem Anflug von Galgenhumor. Denn in Sicherheit war er noch lange nicht!
Noch während er festzustellen versuchte, ob noch alles heil und jeder Knochen am richtigen Ort war, krachte es und eine Kugel schmetterte
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