04 - Spuren der Vergangenheit
Schatten auf herbeigeschleppten Tierhäuten erschienen – und Ah Ahauals Zeichner zog sie mit Farbe nach. Anschließend beschrieb der Mann aus Licht die genaue Beschaffenheit, die ein jedes Bauteil aufweisen musste.
Danach verschwand er so geisterhaft, wie er erschienen war.
***
Obwohl er selbst keine Wache zu übernehmen hatte, schrak Ts’onot in der Mitte der Nacht auf. Es war stockfinster in der Grotte, aber wenn man zum Ausgang blickte, gewahrte man einen Hauch von Licht, den die Gestirne des Himmels auf die Erde ergossen.
Ts’onot lag reglos da und gewöhnte seine Augen an die Finsternis. Nach einer Weile glaubte er den Schattenriss des Wächters zu erkennen. Der Mann saß eingesunken vor den Überresten des erloschenen Feuers.
Da spürte Ts’onot, wie sich seine Gabe blitzartig zu Wort meldete.
Im nächsten Moment bot sich ihm die Grotte völlig verändert dar. Plötzlich waren überall Lichter – Fackeln, gehalten von fremden Kriegern, die mit lautem Gebrüll die Grotte stürmten und ihre tödlichen Waffen erhoben, mit denen sie über die aus dem Schlaf Schreckenden herfielen und ein Blutbad anrichteten, dem keiner von Ts’onots Kriegern entkam …
… auch nicht Ts’onot selbst!
Er löste sich mühsam aus der lähmenden Umarmung seiner Vision, fand sich in der stockdunklen Grotte wieder, wo alles friedlich wirkte, selbst die Wache, zu dösen oder tief zu schlafen schienen.
»Aufwachen!« Ts’onot zischte seinen Weckruf mehr, als dass er rief. Trotzdem fanden schnell alle zu sich. Er trommelte sie zusammen und berichtete ihnen, was das Lomob ihm offenbart hatte.
»Hast du sie erkennen können?«, wollte einer der Krieger wissen. »Welchem Stamm sie angehörten?«
»Ja. Den Tutul Xiu.« Schnell erklärte er seinen Männern, was er von ihnen erwartete. Dann verteilten sie sich.
Es wurde wieder still in der Grotte. Trügerisch still.
Bis das eintrat, was Ts’onot in seiner Vision geschaut hatte.
***
Nur die ersten Momente des feigen Überfalls entsprachen denen der Vision. Dank Ts’onot hatten sich die vermeintlich Schlafenden rechts und links des Eingangs postiert und hielten ihre eigenen Waffen griffbereit.
Auch wenn ihr Chilam ihnen nichts über die genaue Stärke des Gegners hatte sagen können, waren sie fest entschlossen, ihre Haut so teuer wie möglich zu verkaufen.
Und die Tutul Xiu halfen ihnen dabei. Die mitgeführten Fackeln machten sie zu leichten Zielen für die Obsidianklingen, die an den Spitzen ihrer Schlagwaffen befestigt waren. Die Sensen mähten die in die Grotte Stürmenden nieder wie Maispflanzen. Der Tod kam schnell und gnadenlos über die Angreifer.
Als keine mehr nachrückten, befahl Ts’onot, außerhalb der Grotte nach weiteren Feinden zu suchen. Eine Handvoll suchte dort ihr Heil in der Flucht. Einige schleuderten ihre Fackeln von sich, um in der Dunkelheit unterzutauchen, doch am Ende war Ts’onot überzeugt, dass nicht ein Einziger entkommen war.
Ein paar der Feinde lebten noch, worauf Ts’onot sie feierlich den Göttern opferte und ihren Lebensfaden höchstpersönlich durchtrennte.
Trotz des glücklichen Ausgangs wollten seine Männer den Rest der Nacht nicht in der Grotte abwarten. Sie schlugen ihr Lager außerhalb auf, doch kaum einer schlief.
Dann graute der Morgen, und mit dem ersten Sonnenstrahl war der Weiße zur Stelle. »Seid ihr bereit?«
Er verlor kein Wort über die Geschehnisse der Nacht, sodass Ts’onot zu dem Schluss kam, dass der Gesandte entweder nichts darüber wusste oder es nicht für wert erachtete, darüber zu sprechen.
Da Ts’onot spürte, wie es unter seinen Männern rumorte, brachte er es zur Sprache, und zwar unverblümt.
»Wir wären beinahe getötet worden!«
»Letzte Nacht?«
»Du weißt nichts davon? Und die Götter selbst? Warum haben sie keine Hilfe gesandt?«
»Ihr habt doch den Sieg errungen, oder nicht?«, stellte der Weiße fest. »Ohne höheren Beistand wäre euch das nicht gelungen.«
Ts’onot war sich unschlüssig, ob das seltsame Wesen auf das Lomob anspielte, dem sie ihr Überleben zu verdanken hatten, und ihn darauf hinweisen wollte, dass die Gabe ja ein Geschenk der Götter war. Er lenkte ein. »Das mag so sein.«
Der Weiße setzte sich wie schon am Vortag an die Spitze des Trupps. »Dann können wir uns jetzt dem eigentlichen Zweck der Unternehmung zuwenden? Folgt mir. Die letzte Etappe ist die beschwerlichste. Verschwendet euren Atem nicht an Reden. Seid neugierig auf den Himmelsstein – auch
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