04 - Winnetou IV
hören.
„Hat mein junger Bruder alles verstanden, was gesprochen wurde?“ fragte ich ihn.
„Ich hörte alles“, antwortete er.
„Weiß er, daß nun hundert und ein halbes hundert Augen nach uns suchen?“
„Ich weiß es.“
„Glaubst du, daß man uns findet?“
„Nein.“
„Ich ebenso. Aber ein vorsichtiger Krieger hat sich auf alles vorzubereiten. Es sind zwei Fälle zu bedenken. Weiß mein junger Bruder, welche ich meine?“
„Ja.“
„So sage sie!“
„Man kann uns hier entdecken, und man kann unser Lager da oben entdecken.“
„Ganz richtig! Es ist also nötig, zu wissen, wie wir uns in beiden Fällen zu verhalten haben. Sollte man uns hier finden, so wäre es eine unverzeihliche Torheit, hinaus zu Pappermann und meiner Squaw zu fliehen und uns von den Utahs und Sioux belagern zu lassen. Mein junger Bruder hätte sofort hinauszueilen und beide mit den Pferden und Maultieren herauszuschaffen. Ich aber würde die Roten mit meinem Stutzen inzwischen im Zaum halten. Der Ausgang aus diesem Kessel ist eng. Es käme keiner von ihnen hinaus, ohne von meiner Kugel getroffen zu werden.“
„Und wenn man nicht uns, aber unser Lager entdeckt?“ fragte er.
„So hätte ich auch da keine Sorge. Pappermann hält doch Wache. Er hat unbedingt gesehen, daß alle Roten sich plötzlich entfernten, daß sie nachforschen gegangen sind. Er wird sich also mit seinem Gewehr am Weiher verstecken und aufpassen. Auch der dortige Ein- und Ausgang ist sehr eng. Es genügt ein einziger Mann, ein ganzes Heer zurückzuweisen. Und wir beide kämen den Indsmen dann in den Rücken. Wir haben also nicht den geringsten Grund, besorgt zu sein. Warten wir darum ruhig ab, was geschieht!“
Es dauerte über eine Stunde, ehe der erste Indianer zurückkehrte. Ihm folgten nach und nach auch die andern. Man hatte nichts gefunden. Aber man fühlte sich nun zu größerer Vorsicht veranlaßt. Man stellte Wächter aus, allerdings zu spät. Leider aber standen sie auch da, wo wir unbedingt vorüber mußten, wenn wir uns entfernen wollten.
Dann kamen die beiden ‚Enters‘ geritten. Da wurde mit der Beratung wieder begonnen. Die Häuptlinge stiegen wieder auf die Kanzel. Sie sprachen aber nicht laut, sondern so, daß wir ihre Stimmen nur als unterdrücktes Gemurmel vernahmen, jedenfalls der beiden Weißen wegen, die man ausnutzen wollte, ohne sie in das Vertrauen zu ziehen. Als man dann übereingekommen war, welchen Auftrag sie auszuführen hatten, ließ man sie auf die Kanzel kommen, und Kiktahan Schonka fragte sie in seinem bereits angedeuteten, nicht sehr achtungsvollen Ton:
„Ihr wißt noch ganz genau, was ich mit euch besprochen habe?“
„Ganz genau“, antwortete Sebulon, der überhaupt das Wort für sich und seinen Bruder zu führen schien.
„Und seid ihr noch heut bereit, die Bedingungen, welche zwischen euch und uns vereinbart wurden, zu erfüllen?“
„Ja, noch heut.“
„So kommt eine neue Aufgabe für euch dazu, nämlich uns Old Shatterhand und seine Squaw in die Hände zu treiben. Seid ihr bereit dazu?“
„Nur dann, wenn es lohnt.“
„Es lohnt!“
„Was zahlt ihr für sie und ihn?“
„Viel, sehr viel! Doch ist es heut noch nicht Zeit, über diesen Preis zu reden. Wenn wir ihn selbst fangen, bezahlen wir euch natürlich nichts. Wir bleiben noch drei volle Tage hier und passen auf. Kommt er, so entgeht er uns sicherlich nicht; wir nehmen ihn fest. Dafür bekommt ihr nichts. Aber da er Trinidad schon vor euch verlassen hat und noch immer nicht da ist, so sind wir überzeugt, daß er seinen Plan geändert hat und gar nicht nach der Devils pulpit geritten ist. Er ist vielmehr am Kanubisee auf unsere Squaws getroffen, die ja so wahnsinnig sind, für ihn und Winnetou zu schwärmen, und da hat es dem alten Mann wohlgetan, von den Weibern sich preisen und anbeten zu lassen. Er ist mit ihnen gezogen.“
„Das ist möglich, sehr leicht möglich“, sagte Sebulon schnell. „Wir sahen nämlich auch einige Männerspuren.“
„Das genügt! Er ist es gewesen. Und nun ist es an euch, nach dem Preise zu ringen, den wir auf seine Ergreifung setzen. Glücklicherweise kennen wir das nächste Ziel, nach dem die Frauen jetzt reiten. Es ist nämlich der Tavuntsit-Payah. Kennt Ihr ihn?“
„Nein.“
„Mein berühmter Bruder Tusahga Saritsch kennt ihn sehr genau und wird euch den Weg dorthin sofort beschreiben.“
Auch ich hatte von ein Tavuntsit-Payah noch nie gehört und paßte also scharf auf, um mir jetzt kein
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