04 - Wohin die Zeit uns treibt
Besseres zu tun hatte, nahm sie seine Sachen heraus, legte sie zusammen und packte sie weg.
In den Kleidungsstücken hing sein Duft. Da gab es alles, von Baumwolle zu Seide, von Billigstqualität bis Designergarderobe. Wie viele Männer trägt er im Koffer herum, fragte sie sich. Ob er jemals nachdenken und sich ins Gedächtnis rufen musste, wer er wirklich war?
Dann fand sie die Flöte, sorgfältig in Filz eingeschlagen neben einem maßgeschneiderten Hemd aus Satin-Piqué. Die Flöte war poliert, sah aber alt und viel benutzt aus. Probeweise hob Gillian sie an den Mund und blies. Der Ton kam klar und hell. Sie lächelte.
Er stammte aus einer Familie, die ihren Lebensunterhalt mit Musik verdient hatte. Das hatte er nicht hinter sich gelassen, nicht ganz, wie sehr er es auch vortäuschte. Sie stellte sich vor, dass er spielte, wenn er allein und einsam an einem fremden Ort war. Wahrscheinlich erinnerte es ihn an seine Kindheit, an sein Zuhause, die Familie, obwohl er behauptete, kein Zuhause mehr zu haben.
Sie legte die Finger auf die Löcher, hob dann wahllos zwei und freute sich über den Ton, der kam, als sie ins Mundstück blies. Sie hatte schon immer eine ganz besondere Neigung zu Musik gehabt.
Doch ihr Vater hatte das Physikstudium für wichtiger gehalten als Klavierstunden, die sie so gern genommen hätte. Sie fragte sich, ob Terence ihr eines Tages eine richtige Melodie beibringen würde, etwas Sentimentales aus Irland.
Sie legte die Flöte aufs Bett, schlug sie aber nicht wieder ein. Es waren auch Bücher im Koffer. Yeats und Shaw und Wilde. Gillian
blätterte in ihnen herum. Terence trug diese Autoren und Waffen mit sich herum. Sie hatte diese widersprüchliche Kombination schon lange gespürt, jetzt sah sie den Beweis. Und tatsächlich, sie hatte sich in die vielen Seiten des Rätsels Terence O'Hara verliebt.
Ihre Nervosität und ihre Angst war vergessen.
Leise summend legte Gillian die letzten Hemden weg. Als sie den Koffer schließen wollte, bemerkte sie in einer Seitentasche ein Notizbuch. Ohne nach-zudenken, zog sie es heraus und legte es auf den Rand der Kommode. Sie stellte den Koffer in den Schrank neben ihren und ging dann zurück ans Fenster. Dabei stieß sie an das Notizbuch auf der Kommode, und es fiel zu Boden. Die Worte und Noten erregten ihre Aufmerksamkeit, als sie sich beugte, um es aufzuheben.
Bewegt setzte sie sich aufs Bett und las. Ihre Hand lag auf der Flöte.
Es war schon einige Jahre her, seit Terence mit Breintz gearbeitet hatte. Vor fünf oder sechs Jahren in Sri Lanka. Dann hatten sie sich, wie es in ihrem Beruf üblich war, aus den Augen verloren. Nach au-
ßen hin hatte sich Breintz verändert. Das Haar war dünner geworden, das Gesicht voller. Tiefe Falten lagen unter seinen Augen und gaben ihm das Aussehen eines trägen Bassethundes. Im Ohr trug er einen Saphirstecker, und bekleidet war er mit dem Baumwollumhang der Wüstenbewohner.
Nach einstündiger Diskussion war Terence beruhigt. Innerlich war Breintz immer noch derselbe scharfsichtige Agent, den er von früher kannte.
„Es wurde entschieden, die Waffen nicht auf dem üblichen Weg hierherschaffen zu lassen. Es ist zu gefährlich. Ich habe meine Kontakte benutzt. Sie kommen mit einem Privatflugzeug und werden auf einer Landebahn ein paar Meilen östlich von hier entladen."
Terence nickte. In der dämmrigen Nische hinten in dem fast leeren Restaurant genoss er eine von Breintz' türkischen Zigaretten. Über dem aromatischen Tabakgeruch lag der von gegrilltem Fleisch. „Und sobald die Ladung da ist, gehe ich wie besprochen vor. Die ganze Geschichte sollte in einer Woche über die Bühne sein."
„Wenn die Götter zustimmen."
„Immer noch abergläubisch?"
Breintz verzog eher nachsichtig als humorvoll die Lippen. „Wir halten schließlich alle an dem fest, was sich bewährt hat." In drei Stößen stieß er den Rauch aus und beobachtete, wie sich die Ringe formten und langsam wieder auflösten. „Deshalb glaube ich auch nicht an Ratschläge, sondern an Tatsachen."
„Gut." Terence nickte.
„Dann will ich dir diese Tatsachen geben, obwohl du sie sicherlich schon kennst. Ich arbeite jetzt im vierten Jahr in diesem belagerten Teil der Welt mit Terroristen. Einige sind fanatisch religiös, einige ehrgeizig, einige einfach durch Hass geblendet.
Wenn diese Grundhaltungen mit völliger
Missachtung des menschlichen Lebens
zusammenfallen, werden sie gefährlich und, wie wir oft genug festgestellt haben,
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