040 - Die Monster aus der Geisterstadt
Erinnerung. Was für ein Wunder war geschehen, daß sie aus ihrem magischen Schlaf aufgewacht war? Dorian konnte es nicht glauben, daß Pesce das durch seine brutalen Methoden geschafft hatte.
»Das ist unsere Chance«, raunte Pesce. »Jetzt schnappen wir sie uns und setzen ihr so lange zu, bis sie uns das Versteck des Schatzes verrät.«
»Wenn du auch nur den kleinen Finger gegen sie erhebst, schlage ich dir den Schädel ein!« drohte ihm Parker.
»Aber wir wollen doch alle dasselbe«, rechtfertigte sich Pesce. »Wir sind wegen des Schatzes hier. Und seid ihr nicht selbst der Meinung, daß …«
»Rühr dich nur ja nicht!« drohte auch Dorian. »Überlasse die Inka-Prinzessin mir!«
Pesces Gesicht verzerrte sich vor Wut, aber ein Wink von Parker brachte ihn zur Vernunft. Er behielt für sich, was er Dorian hatte sagen wollen.
Die Begleiter der Inka-Prinzessin waren stehengeblieben. In den sonst so verschlossenen Gesichtern der Inkas konnte Dorian lesen, daß sie nicht minder überrascht waren, Machu Picchu so plötzlich wach und anscheinend bei vollem Bewußtsein unter sich zu haben.
Machu Picchu näherte sich dem Eingang ihres Quartiers. Sie schien durch sie hindurchzublicken, als seien sie alle aus Luft. Dorian stieß Pesce beiseite, um den Eingang für sie freizuhalten. Sie ging an ihnen vorbei in den Raum.
Als sie die Mitte erreicht hatte, drehte sie sich langsam – wie in Zeitlupe – um. Und jetzt blickte sie Dorian in die Augen. Der Dämonenkiller versuchte, den Ausdruck ihrer Augen zu ergründen, aber es gelang ihm nicht. Obwohl sie offensichtlich ihn anblickte, war ihm gleichzeitig, als würde sie durch ihn hindurchsehen – oder direkt in seine Seele.
Da sie immer noch schwieg, ergriff Dorian das Wort. Er hatte nur Angst, daß sie sich beim ersten Ton, den er sagte, in Luft auflösen könnte, aber seine Befürchtungen waren unbegründet.
»Machu Picchu«, begann er mit rauher Stimme und mußte sich räuspern, bevor er fortfahren konnte. »Bist du es wirklich?«
Sie blickte an ihm vorbei, und der Dämonenkiller sah, daß ihre Augen an dem Quipu, das in einer Ecke über dem Boden ausgebreitet war, hängenblieben.
»Hast du sein Geheimnis immer noch nicht gelöst?«
Sie sprach mit sanfter, leicht entrückter Stimme; und es war keine Frage, sondern eine wehmütige Feststellung.
»Sage mir, welche Bedeutung das Quipu hat und …«, begann Dorian.
Ihr Kopfschütteln brachte ihn zum Verstummen. Sie sprach wieder in ihrem fast perfekten, aber altertümlichen Spanisch, das sie von Pizzaros Konquistadoren gelernt hatte.
»Ich habe nicht das Recht, dir den Zauber des Quipus zu erklären. Ich bin zum Schlafen verdammt – zum Schlafen und zum Träumen. Wecke mich und es gibt keine Geheimnisse mehr!«
»Aber – stehst du nicht vor uns, wie du leibst und lebst?« wunderte sich Dorian.
Er bereute seine Frage, kaum daß er sie ausgesprochen hatte, denn er erkannte sofort, daß Machu Picchus Worte nicht wörtlich gemeint gewesen waren. Es mußte eine Botschaft in ihnen stecken – Hinweise, die zu des Rätsels Lösung führen konnten. Er mußte sich ihrem Tonfall anpassen, wenn er nicht zerstören wollte, was kaum begonnen hatte.
Hatte Machu Picchu einen Ausweg gefunden, um ihrem Traumgefängnis zumindest zeitweise entfliehen zu können?
»Wir sind alle verdammt«, sagte Dorian nach einer Weile.
»Ja«, bestätigte Machu Picchu. »Auch ihr seid Gefangene der Träume – obwohl ihr keine Schläfer seid.«
Was bedeutete das nun wieder? Meinte sie, daß sie alle Opfer einer einzigen großen Illusion waren? Existierte die Inka-Stadt Manoa überhaupt nicht?
Aber nein, das konnte nicht stimmen. Die Stadt war echt, so wie die darin lebenden Inkas aus Fleisch und Blut waren. Sie waren nur Überbleibsel einer längst vergangenen Zeit, durch die magische Kraft eines mächtigen Dämons ins 20. Jahrhundert versetzt. Von welchen Träumen sprach Machu Picchu also? Von den Ungeheuern, die sie sporadisch aufsuchten?
»Sind die Träume ständig um uns, oder kommen sie nur gelegentlich? Sind sie einem bestimmten Zyklus unterworfen?« Er hoffte, daß er damit nicht zu weit gegangen war.
»Das Quipu gibt die Antwort«, sagte Machu Picchu. »Und im Saal der Träume findet sich die Antwort. Aber frage nicht die Sterblichen von Manoa nach der Lösung des Rätsels. Sie sind unwissende Diener, Opfer des Fluches wie ich, die Schlafende.«
Mit diesen Worten drehte sie sich dem Ausgang zu und setzte sich in
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