040 - Paris, Stadt der Sünde
einer privaten Angelegenheit?
Reading wird sich gerne zurückziehen. Setzen Sie sich zu mir.“ Er tätschelte die schneeweißen Seidenlaken. „Ich ziehe es vor, eine Dame, mit der ich mich im Schlafgemach unterhalte, in meiner Nähe zu haben.“
„Und ich würde es vorziehen, wenn Sie sich ankleiden.“
„Aber wieso?“, fragte er in aller Unschuld.
Erst jetzt bemerkte sie den Verband an seinem Oberarm. „Sie sind verletzt“, entfuhr es ihr erschrocken.
„Nur ein Kratzer“, meinte er wegwerfend. „Warum wünschen Sie, dass ich mich bekleide?“
„Ich möchte kein Gespräch mit einem ... einem nackten Mann führen. Das schickt sich nicht.“ Sein leises Lachen brachte sie in Rage.
„Nun gut, meine Süße. In diesem Fall wird Reading Sie in den Salon führen, während ich nach meinem Kammerdiener läute, da ich unter dieser Decke tatsächlich nackt bin wie der Teufel mich schuf, und wenn Sie nicht zu mir ins Bett schlüpfen, sollten Sie sich zurückziehen, bevor Sie in Ohnmacht sinken.“
„Gehen wir, Miss Harriman“, sagte Mr Reading und bot ihr den Arm. „Er ist wieder einmal in einer seiner Stimmungen. Es wäre ratsam, ihn nicht zu provozieren.“
Rohan war bereits im Begriff, die Decke abzuwerfen, als sie auf dem Absatz herumwirbelte und hoffte, ihre glühenden Wangen verbergen zu können. Das leise diabolische Lachen des Comtes verfolgte sie ins angrenzende Zimmer.
„Machen Sie es sich bequem, Miss Harriman“, sagte ihr stellvertretender Gastgeber.
„Darf ich Ihnen etwas anbieten? Cavalle kann uns Tee bringen oder vielleicht etwas Stärkeres?“
„Nein, danke, Sir.“ Sie setzte sich auf die Kante eines zierlichen vergoldeten Stuhls, fest entschlossen, sich ihre Beklemmung nicht anmerken zu lassen.
„Ich hoffe, Ihre Familie ist wohlauf? Es hat Sie hoffentlich nichts Ernsthaftes dazu veranlasst, sich bei Dunkelheit in diesem Schneegestöber aus dem Haus zu wagen.“
Sie nahm seine leise Besorgnis wahr und unterdrückte ein Seufzen. Jeder Mann, der einen Blick auf ihre Schwester warf, verliebte sich in sie, und Reading schien keine Ausnahme zu sein. „Meine Schwester ist wohlauf, danke der Nachfrage.“
Das Lächeln in Readings Narbengesicht verlieh ihm beinahe etwas Rührendes.
„Wenn ich irgendwie behilflich sein kann ...?“
„Diese Angelegenheit betrifft ausschließlich Lord Rohan und mich“, antwortete sie ausweichend.
Reading nahm gleichfalls Platz auf einem der zierlichen Stühle. „Ich halte Sie für eine kluge junge Dame. Es ist Ihnen gewiss nicht entgangen, dass Seine Lordschaft und ich uns sehr nahestehen. Sie können getrost über alles mit mir sprechen, was Sie bedrückt.“
Sie bemühte sich nicht, ihre Skepsis zu verbergen. „Ich warte auf Seine Lordschaft, vielen Dank.“
„In diesem Fall“, Reading lächelte dünn, „werde ich mich zurückziehen. Ich war seit Wochen nicht in der Stadt, und es drängt mich, Freunde in meinem Club aufzusuchen. Es mag zwar unhöflich erscheinen, Sie alleine zu lassen, und es hat nichts mit dem großen Respekt zu tun, den ich Ihnen entgegenbringe, aber ich bin nun mal ein leichtlebiger Geselle, den es nach Zerstreuung gelüstet. Im Übrigen nehme ich an, dass Rohan mit Ihnen alleine sein will. Die Bande der Freundschaft sind eben stärker als verbindliche Höflichkeit.“ Er erhob sich, nahm ihre Hand und beugte sich darüber. Sie entzog sich ihm, bevor er einen Kuss darauf drücken konnte.
Reading schenkte ihr sein seltsam verzerrtes Lächeln und ging.
Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, stieg Angst in ihr hoch. Ihr anfänglicher Zorn hatte sich gelegt. Was um Himmels willen hatte sie sich bei diesem ungebührlichen Überfall gedacht?
Es wäre vernünftig gewesen, Rohans Gaben anzunehmen und ihm gleichzeitig jeden Kontakt mit Lydia zu verbieten. Möglicherweise würde er sich ja damit zufriedengeben, wenn Elinor sich mit ihm einließ. Schließlich hatte sie ihre Unschuld schon vor Jahren verloren. Und ihre Mutter war eine spielsüchtige Hure ... Was stand eigentlich noch auf dem Spiel für sie?
Sie blickte aus dem Fenster in das nächtliche Schneetreiben und fröstelte, obwohl das prasselnde Kaminfeuer eine erdrückende Hitze verbreitete. Irgendwo schlug eine Turmuhr, sie zählte acht Schläge und atmete erleichtert auf. Es war noch früh am Abend, freilich zu spät für einen Höflichkeitsbesuch, aber nun war sie schon einmal hier. Sie wollte ihre Beschwerde vorbringen und darauf bestehen, dass Lord Rohan den
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