040 - Paris, Stadt der Sünde
sie kühl. Er trug eine silbergraue Kniehose, ein weißes Seidenhemd unter einem taillierten Überrock mit langen silbergrau gefütterten Schößen. Das Haar hatte er zu einem Nackenzopf geflochten, und seine lebhaften blauen Augen musterten sie belustigt.
„Ich werde Sie nicht fragen, welchem Umstand ich die Ehre Ihres Besuches verdanke“, fuhr er fort. „Vermutlich muss ich mit Vorhaltungen rechnen, weil ich verhindern wollte, dass Sie und Ihre bezaubernde Schwester erfrieren und verhungern, stimmt’s?“
Das Blut gefror ihr in den Adern. „Sie werden sich nicht an meiner Schwester vergreifen!“, entgegnete sie schneidend.
Er verdrehte die Augen. „Wieso in aller Welt kommen Sie auf die Idee, ich könnte Gelüste auf ein hübsches Kind haben? In Paris laufen Dutzende, wenn nicht Hunderte hübscher junger Mädchen herum, die ich alle haben könnte, wenn ich nur wollte.“
„Nicht alle“, widersprach sie heftig und sprang auf.
„Meine liebe Miss Harriman“, erklärte er nachsichtig und zwang sie sanft, sich wiederzusetzen. „Glauben Sie mir, wenn ich wollte, könnte ich auch Ihre Schwester haben. Aber darüber wäre Reading unglücklich, und meinen besten Freund möchte ich nicht kränken. Wobei er sie auch nicht haben kann, da er gezwungen ist, eine reiche Erbin zu heiraten. Im Übrigen ist er trotz meines schlechten Einflusses viel zu edelmütig, eine Tochter aus gutem Haus zu kompromittieren.“
Es klopfte leise an der Tür. „ Entrez“, rief Rohan, und ein Diener, nicht der abscheuliche Cavalle, erschien mit einem Silbertablett, und köstlicher Duft nach geröstetem Toast stieg Elinor in die Nase.
„Ich verwarf den Gedanken, Sie mit Wein und Trauben zu verlocken, da heißer Tee und Toast mir weniger verfänglich erschienen.“ Er hob den Deckel von einer Silberschüssel. „Aha, Rührei. Fabelhaft, Willis. Sie können gehen.“
„Ich bin nicht hungrig“, lehnte Elinor eigensinnig ab.
„Seien Sie nicht lächerlich. Natürlich sind Sie hungrig. Ich sehe doch, wie Ihnen das Wasser im Mund zusammenläuft. Gestatten Sie mir, Ihnen vorzulegen.“
„Ich nehme kein Essen von Ihnen.“
„Warum nicht? Befürchten Sie, ich lasse meine Speisen mit Drogen würzen, um Sie gefügig zu machen?“
Sie bedachte ihn mit einem giftigen Blick. „Sie mögen sich für den Herrn der Finsternis halten, Mylord, in Wahrheit sind Sie nur ein verweichlichter Aristokrat, der stets seinen Willen durchsetzen will.“
„Das bestreite ich gar nicht, mein Kind“, entgegnete er und stellte den Teller mit Rührei auf ihre Knie. „Erstaunlich, wie klar Sie mich durchschauen mit all meinen Fehlern und Lastern. Ich bin nichts als ein dekadenter, übersättigter Nichtsnutz. Und deshalb begreife ich nicht, wieso Sie sich wegen dieser lächerlichen Geste der Wohltätigkeit ereifern. Und bitte verlieren Sie nicht gleich wieder die Contenance.
Essen Sie, bevor die Eier kalt werden. Gleich werden Sie behaupten, Sie seien nicht auf Almosen angewiesen, aber ich glaube Ihnen nicht. Sie sind zu arglos, um eine gute Lügnerin zu sein. Sie haben kein Geld, und ich habe mehr als genug davon, und ich weiß zufällig, dass Sie noch keine Gelegenheit hatten, Ihren neu entdeckten Cousin um finanzielle Unterstützung zu bitten. Sie haben niemanden, an den Sie sich wenden können. Und überlegen Sie mal, wäre mein Haus besser bewacht, hätte sich Ihre Mutter keinen Zutritt verschaffen können, um das letzte Geld Ihrer Familie am Spieltisch zu verlieren. Sehen Sie meine Unterstützung als Begleichung meiner Schulden.“
Wäre sie so prinzipientreu gewesen, wie sie sich wünschte zu sein, hätte sie die Eierspeise nicht angerührt. Aber der köstliche Duft direkt vor ihrer Nase war zu verführerisch. Seit Wochen hatte sie kein Ei mehr gegessen. Im Übrigen hatte sie ihre Prinzipien schon vor Jahren verraten: Sie konnte getrost ihre Seele für ein Eiersoufflé verkaufen. Nur nicht die Seele ihrer Schwester.
Als sie den ersten Bissen zum Mund führte, musste sie die Augen schließen, um ihren Tränenschleier zu verbergen. Wie absurd, wegen einer Eierspeise in Tränen auszubrechen. Das bewies ihr lediglich, wie tief sie gesunken war.
Sie blinzelte heftig, bevor sie ihren strengen Blick auf Rohan richtete, der völlig ungerührt etwas Toast kaute. „Nun, meine liebe Miss Harriman, warum erklären Sie mir nicht in Ihrer kühlen sachlichen Art, was daran so verwerflich sein soll, wenn ich Ihnen eine Kleinigkeit von meinem Überfluss
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