040 - Paris, Stadt der Sünde
weiteren Blickes, als sie sich trippelnd entfernte. Sie war sehr wütend auf ihn. Das würde eine spätere Begegnung anregender gestalten – falls ihm der Sinn noch danach stand, woran er im Augenblick allerdings zweifelte.
Das Kind vor ihm starrte ihn feindselig an, denn sie war noch ein Kind, wenngleich ein erwachsenes Kind. Eine Jungfrau, unberührt, ungeküsst, unschuldig und wütend, und er würde sich köstlich mit ihr amüsieren. „Nun erzählen Sie, meine Kleine. Was führt Sie wirklich hierher?“
Er sah ihr deutlich an, dass sie ihn am liebsten zur Hölle geschickt hätte, aber junge wohlerzogene Damen sagten so etwas nicht. Mit sichtlicher Mühe bezähmte sie ihren Zorn, zog ihren schäbigen Umhang enger um die Schultern und reckte das Kinn. „Ich bin auf der Suche nach meiner Mutter“, wiederholte sie mit gefasster Stimme. „Wie ich sehe, haben Sie Schwierigkeiten, normales Englisch zu verstehen.
Möglicherweise haben Ihre Ausschweifungen bereits Ihren Geist angegriffen, was nicht verwunderlich wäre. Aber meine Sorge gilt meiner Mutter. Ich nehme an, sie befindet sich in Begleitung von Monsieur St. Philippe. Und ich muss sie dringend so schnell wie möglich nach Hause bringen. Sie ist krank.“
„St. Philippe?“, wiederholte er. „Ich glaube, er kam in Begleitung einer Dame, aber ich habe nicht weiter auf das Paar geachtet. Ihre Mutter dürfte in einem Alter sein, in dem sie ihre eigenen Entscheidungen trifft.“ Auf sein Fingerschnipsen hin löste sich ein zweiter Lakai aus dem Schatten. „Bring Madame einen Stuhl. Sie sieht erschöpft aus.“
„Nein!“, widersprach sie heftig. „Ich bin nicht an einer Konversation mit Ihnen interessiert, Monsieur le Comte. Ich will nur meine Mutter abholen.“
„Und ich will mich als guter Gastgeber erweisen“, konterte er.
„Bisher haben Sie jede Höflichkeit außer Acht gelassen“, stellte sie schnippisch fest.
„Wieso sollten Sie das plötzlich ändern?“
Ihre spitze Zunge und ihre Schlagfertigkeit belustigten ihn. Er nahm einen Schluck Wein, setzte das Glas ab und erhob sich. „Eine gute Frage, Madame ...?
„Mein Name tut nichts zur Sache.“
„Wenn ich Ihren Namen nicht kenne, wie soll ich Ihre Mutter finden?“
Als er die Stufen des Podiums herabstieg, rührte sie sich nicht von der Stelle, wie er wohlgefällig feststellte. Eine couragierte Person, die sich in die Höhle des Löwen wagte und bei seiner Annäherung nicht zurückwich.
„Harriman“, sagte sie nach einigem Zögern. „Ich heiße Elinor Harriman. Meine Mutter ist Lady Caroline Harriman.“
Er stutzte. „Gütiger Himmel. Die pockennarbige alte Hexe ist hier? Keine Sorge, meine Teuerste. Wir werden sie gleich finden. Ich habe nicht die Absicht, sie unter meinen Gästen zu dulden. Erstaunlich, dass St. Philippe die Frechheit besitzt, sie in mein Haus zu bringen. Es sei denn, er wollte damit meine Aufmerksamkeit auf sich lenken.“
„Wieso das denn?“, fragte die Kleine verblüfft. Normalerweise fand er Naivität zum Gähnen langweilig. An Madame Elinor Harrimans Naivität fand er seltsamerweise Gefallen.
„Weil er eine Schwäche für mich hat und ich nicht an ihm interessiert bin.“
„Er hat eine Schwäche für Sie? Aber er ist ein Mann.“
„Das ist nicht zu leugnen“, antwortete er sanft. „Und wie kommt es, dass Sie so viele Jahre in Paris leben, ohne über derlei Dinge Bescheid zu wissen?“
„Woher wissen Sie, wie lange ich in Paris lebe?“
„Vor etwa zehn Jahren verließ Lady Caroline Harriman mit ihren beiden kleinen Töchtern ihren dekadenten Ehemann und ließ sich in Paris nieder. Seither befindet sie sich im stetigen Abstieg und Verfall. Eigentlich verwunderlich, dass sie noch lebt.“
„Gerade noch“, ergänzte die Besucherin bitter. „Kann ich jetzt endlich nach ihr suchen, statt hier herumzustehen und zu plaudern? Vermutlich sitzt sie am Spieltisch, und ich muss verhindern, dass sie unser letztes Haushaltsgeld verliert.“
„Ein löblicher Gedanke, Kind. Und ich will verhindern, dass sie meine Gäste mit ihrer Krankheit ansteckt. Ich achte strikt auf die Gesundheit der Huren ...“
„Meine Mutter ist keine Hure!“
Ein entzückender rosiger Hauch überflog ihre bleichen Wangen. Sie war zu mager, hatte vermutlich seit Monaten nichts Anständiges gegessen. Francis Rohan gestattete sich ein kurzes Fantasiebild, wie er sie mit Häppchen feinster Delikatessen fütterte, während sie nackt auf einem Seidenlaken lag.
Er belächelte
Weitere Kostenlose Bücher