0400 - Jenseits-Melodie
starr auf mich gerichtet. Manchmal zuckte auch sein Mund, aber er hinderte mich nicht daran, auf ihn zuzugehen.
In Reichweite blieb ich stehen.
Noch immer steckte meine Hand in der rechten Jackentasche. Sehr genau fixierte ich das Gebilde. Um es in Sicherheit zu wiegen, sprach ich es an.
»Du, Manfredo Cardinal, hast einen Blick in das geheimnisvolle Land Aibon werfen können?«
»Ja.«
Ich hörte die Antwort nicht akustisch. Sie war aber in meinem Gehirn zu vernehmen, so daß ich mich ermuntert fühlte, eine weitere Frage zu stellen. Dabei zog ich langsam die Hand aus der Tasche.
»Wie konntest du in die Totenwelt der Druiden gelangen, wo sie doch für einen Menschen verschlossen ist?«
»Es waren meine Träume, die mich dort hingeschafft hatten.«
»Und da hast du auch ihn gesehen. Den roten Ryan, der so wunderbar auf seiner Flöte spielen kann.«
»Ja, ich sah ihn. Ich nahm Kontakt auf, und ich schrieb seine Melodie mit, die ich nun spielte, die aber meiner damaligen Kaiserin nicht gefiel, denn sie bestimmte, was am Hofe gespielt werden sollte und was nicht. Ich ließ mich nicht beirren, auch dann nicht, als man den Henker zu mir schickte. Aibon war zu stark. Es hat mich nicht im Stich gelassen, denn ich hatte gemerkt, daß man die Magie der Druiden auch gegen die Menschen einsetzen kann. Und dies tat ich.«
Er hatte geredet und seinen Mund dabei wie eine Klappe bewegt.
Die Augen blieben starr, nur die Haut auf dem Gesicht hatte sich hin und wieder verzogen.
Von ihm konnte ich keine Gnade erwarten. Er hatte einen Auftrag zu erfüllen, er war kein Mensch mehr, auch wenn er wie ein Mensch gesprochen hatte.
Wer so aussah wie er, von dem konnte gar nicht verlangt werden, daß er die Menschen achtete.
Ich jedenfalls hatte ihn ablenken können und kam nun zu meinem Angriff. Die Hand hatte ich bereits aus der Tasche gezogen, ich mußte mich selbst überwinden, als ich vorsprang, den linken Arm ausstreckte und das Gebilde am Hals umklammerte.
Ich hörte es würgen. Die Augen vergrößerten sich noch weiter, aber ich kümmerte mich nicht darum. Die magische Kreide in meiner Hand war jetzt wichtiger.
Mit ihr malte ich ein magisches Dreieck auf die Lackierung des Flügels und setzte das Gebilde dort hinein.
Er schrie entsetzlich laut und hoch, während ich weitermalte und das Dreieck mit einem Kreis umgab.
Das Dreieck im Kreis war entstanden!
Ein uraltes Zeichen, von dem ich hoffte, daß es Wirkung zeigen würde, denn ich hatte es nicht mit normaler Kreide aufgemalt, sondern mit einer magischen. Sie bestand aus Tierfetten und Kräutern, die allesamt unter Beigabe von Knochenmehl, zu einem Sud verkocht wurden.
Diese Kreide gab es nicht zu kaufen. Ich hatte sie in mühevoller Kleinarbeit vor Jahren selbst hergestellt. Nur selten war ich bisher dazu gekommen, sie einzusetzen. Deshalb hoffte ich, daß sie ihre Wirkung noch nicht verloren hatte und das Horror-Gebilde bannte.
Das Wesen verspürte eine schreckliche Angst. Ein unfaßbarer Vorgang spielte sich vor meinen Augen ab. Verzweifelt bewegten sich die Finger der Hand. Mir kamen sie fast so vor, als wollten sie über die Tastaturen huschen, aber sie trommelten nur auf dem Holz des Flügels herum. Die Grenzen des magischen Symbols konnten sie nicht überwinden.
Dabei schrie das Gebilde weiter. Die violette Haut, sonst leicht glänzend, nahm einen stumpfen Ton an, auch die Haut zwischen den einzelnen Fingern veränderte sich auf diese Art und Weise. Sie spannte sich noch stärker und begann sogar zu reißen.
Ich sah genau hin, als sie wegplatzte, kleine Flecken entstanden und etwas Undefinierbares aus diesen Inseln in der Haut hervorquoll.
Befand ich mich auf der Siegerstraße? Kam dieses Wesen gegen die magische Kraft der Kreide nicht an?
Es sah so aus. Auch nach dem dritten, vierten und fünften Versuch geriet es bis an die Grenzen und kam nicht darüber hinweg, weil es stets zurückgeschleudert wurde.
Jedesmal, wenn es Kontakt mit der magischen Grenze bekam, glühte diese rötlich auf, als würde im nächsten Augenblick ein Feuer aus ihr hervorschießen.
Ich hatte diese Attacke nicht ohne Hintergedanken gestartet, denn ich wollte meinen Freund Suko endlich bekommen oder zumindest wissen, was mit ihm geschehen war.
Aus diesem Grunde rief ich laut in das Zimmer hinein. »Judith, zeig dich endlich! Aber sage mir auch, wo ich meinen Freund finde, sonst werde ich deinen Manfredo Cardinal für immer und alle Zeiten vernichten. Hast du verstanden?« Ich
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