0404 - Karten des Unheils
dem lückenhaften Pflaster, während auf dem Hof jemand den Motor seiner Maschine ausprobierte. Der Lärm vereinigte sich mit dem Kreischen eines Vogels. Das Tier steckte in einem viel zu kleinen Käfig. Dafür hing dieser im Freien, direkt neben dem Fenster einer Küche.
Die Horror-Oma blieb auf dem Hof stehen. Sie wurde aus den Fenstern beobachtet und auch von den drei jungen Männern, die an der aufgebockten Maschine bastelten.
Niemand sprach sie an. Man schwieg und schielte misstrauisch, denn die Leute spürten, dass Lady Sarah nicht zuihnen gehörte.
Lady Sarah fragte eine dicke Frau, die einen Korb mit nasser Wäsche schleppte und über eine außen angebrachte Kellertreppe hochkam, nach dem Weg.
»Da musst du einfach da runter, wo ich hochgekommen bin.«
»Lande ich da nicht in der Waschküche?«
»Unter anderem, aber auch bei der Spinnerin.«
»Wieso das?«
Die dicke Frau stellte den Korb ab und holte eine zerknautschte Packung Zigaretten aus der Kitteltasche. »Mann, sag bloß, du nimmst dieses Gequatsche für bare Münze.«
»Ich habe noch nicht mit Ludmilla gesprochen.«
»Die redet nur Mist. Vom Weltuntergang und so. Dabei soll sie aufpassen, dass sie nicht untergeht.« Mit diesen Worten war für die Frau das Gespräch beendet. Sie ließ den Glimmstängel zwischen ihren Lippen, schnappte sich den Korb und ging weiter.
Lady Sarah ging die ausgetretenen Steinstufen hinab, auf denen man leicht stolpern konnte. Sarah war froh, ihren Stock mitgenommen zu haben, der sich neben dem rostigen Geländer als zweite Stütze erwies.
Die alte Tür am Ende der Treppe sah sehr mitgenommen aus. Im oberen Drittel hatte sie mal eine Glasscheibe gehabt. Jetzt klebte Pappe im Rechteck, mit Heftzwecken festgeklemmt. Kein Hinweis auf Ludmilla Prokowa. Lady Sarah wunderte sich darüber. Wer sich mit Kartenlegen beschäftigte, sollte zumindest ein wenig Reklame für sich machen.
Die Tür klemmte, als Lady Sarah sie aufdrückte. Vor ihr lag die Waschküche.
Ein Feuchtraum, in dem die Luft nach Seifenlauge roch. Da stand keine elektrische Waschmaschine. Wer hier seine Wäsche wusch, verließ sich noch auf Waschbrett und seine Hände. Zwei große Spülbecken sah Lady Sarah ebenfalls. Zudem musste sie über Schläuche klettern und sah schließlich die zweite Tür vor sich, die von der Waschküche aus in den Keller führte.
Sie gehörte ebenfalls nicht mehr zu den neuesten. Auch hier musste Lady Sarah kräftig ziehen, um den Kellergang zu erreichen.
Auf den Wänden lag ein feuchter Film. An der Decke brannten einige Birnen. Ihr Licht war ziemlich matt. Deshalb waren die Löcher in und die Schmierereien an den Wänden erst beim zweiten Blick zu erkennen. Aber am Ende des Flurs, wo er sich teilte, blinkte ein Schild.
Lady Sarah ging rasch hin und sah auf dem Metall in dunklen Lettern den Namen Ludmilla Prokowa. Darunter stand in kleinerer Schrift der Beruf: Kartenlegerin.
Die Horror-Oma schüttelte den Kopf. Wer sein Geschäft so betrieb und sich in einem Keller versteckte, durfte sich nicht wundern, wenn kaum Kunden zu ihm kamen.
Mrs. Goldwyn ging nach links und schaute auf eine Tür, die anders aussah als die übrigen. Sie war relativ neu und glänzte noch.
Das musste der Eingang zu Ludmillas Wohnung sein.
Lady Sarah klopfte.
»Kommen Sie zu mir!« rief jemand. »Ich warte hier auf Sie.«
Mrs. Goldwyn schüttelte den Kopf. So etwas hatte sie auch noch nicht erlebt! Da musste sie tatsächlich durch den Keller gehen, um eine Wohnung im Erdgeschoss zu erreichen, das war schon mehr als merkwürdig. Sarah stieg die glatten Holzstufen hoch und gelangte in die Wohnung oder das Arbeitszimmer der Kartenlegerin. Eine andere Welt nahm sie auf. Sie wirkte irgendwie geheimnisvoll, fremdartig, denn Lady Sarah sah keine Wände, nur Stoffbahnen, die den großen Raum abtrennten und auch einteilten. Das Licht fiel aus runden Öffnungen unter der mit Holz verkleideten Decke. Es war nicht sehr hell, aber ausreichend. Hinter dem Schreibtisch hockte die Frau mit dem russischen Namen. Interessiert blickte sie ihre Kundin an.
»Bitte, treten Sie doch näher.« Ludmilla hob den rechten Arm und deutete auf einen gepolsterten Stuhl vor dem Schreibtisch, sodass sich die beiden Frauen gegenübersaßen.
Ob der Dialekt gespielt oder echt war, konnte Lady Sarahnicht feststellen. Jedenfalls sprach diese Frau mit einem harten Tonfall, und Lady Sarah hatte Zeit, sich die Person genau anzusehen.
Das Alter der Prokowa war schlecht zu schätzen.
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