0404 - Karten des Unheils
Hände hatte er bereits erhoben. Er umklammerte mit allen zehn Fingern den Dolchgriff. Mit großer Wucht wollte er ihn mir in die Brust stoßen.
Und schon ging er den ersten Schritt. Um mich zu erreichen, brauchte er nicht zu springen. Er musste nur vorgehen und das schräge Gitter betreten. So würde er leicht an mich herankommen.
Sein Gesicht lag im Schatten. Ich glaubte aber, sein kaltes Grinsen erkennen zu können.
Das war seine große Stunde! Darauf hatte er lange gewartet. Mir blieben kaum Chancen. Die Beretta besaß jetzt Kamikaze, mir war das Kreuz geblieben, und ich musste es einfach aktivieren, sonst war alles vorbei.
Ich spürte den Druck, den Akim Samarans Gewicht auf das Gitter ausübte. Noch tiefer drang es in meinen Leib. Esbereitete mir Mühe, überhaupt zu atmen, und ich kam auch nicht an den Bumerang heran.
Das Kreuz trug ich vor meiner Brust. Wenn ich die Formel sprach, würden die Silben nur mehr als Keuchen zu hören sein.
»Keine Bewegung mehr!« schrie plötzlich jemand.
Diese drei Worte kamen mir vor wie die berühmten Trompeten von Jericho. Nicht allein ich zuckte zusammen, auch Akim Samaran, der wohl nicht fassen konnte, dass da jemand erschienen war, um seinen Plan zu zerstören. Plötzlich interessierte er sich nicht mehr für mich, sondern für den, der gesprochen hatte.
Akim drehte sich auf dem Gitter um.
Natürlich hatte ich längst erkannt, dass Bill Conolly gekommen war, um mich zu unterstützen. Ich hatte noch einmal meine Kräfte sammeln können und drückte meinen Oberkörper vor. Dabei umklammerte ich mit beiden Händen das Gitter, denn nur so konnte ich Samaran überraschen.
Ich wuchtete es hoch.
Samaran schrie, er kippte, aber auch sein Leibwächter Kamikaze bewegte sich, wie ich aus dem Augenwinkel wahrnahm.
Und er schoss sofort.
Plötzlich war die Hölle los!
***
Nach Lady Sarahs Eröffnung war es zunächst einmal still. Beide Frauen schwiegen. Sarah Goldwyn wollte die Entwicklung der Dinge zunächst abwarten, sie hatte das Ihre getan, und Ludmilla Prokowa musste nun reagieren.
Aber sie hielt sich zurück. Ob bewusst oder unbewusst, das konnte die Horror-Oma nicht sagen, jedenfalls wartete sie vergeblich auf eine Antwort der Kartenlegerin.
»Soll ich den Artikel vorlesen?« fragte die Horror-Oma.
»Nein, das brauchen Sie nicht. Ich habe ihn ja selbst geschrieben.«
Sarah nickte. »Klar. Nur möchte ich gern mehr darüber wissen. Vor allen Dingen interessiert es mich, wie Sie überhaupt darauf gekommen sind, sich mit Baal zu beschäftigen.«
»Kennen Sie ihn?« fragte Ludmilla zurück.
»Das kann man sagen. Ich habe zumindest einiges von ihm gehört. Und nicht nur Gutes.«
»Das gebe ich gern zu.«
Sarah schaute wieder auf den Artikel. »Mich wundert es, mit welch einer Bestimmtheit Sie über Baal geschrieben haben. Woher konnten Sie das wissen?«
Ludmilla lächelte fein. »Durch die Karten.«
»Soll ich Ihnen das glauben?«
Die Prokowa beugte sich vor. »Müssen Sie das nicht, Mrs. Goldwyn?«
»Um das herauszufinden, bin ich zu Ihnen gekommen. Mich interessieren eben Dinge, die sich mit übersinnlichen Phänomenen beschäftigen, wenn Sie verstehen. Ich bin eine alte Frau, dazu dreifache Witwe, habe viel Zeit und muss meinen Tag irgendwie ausfüllen. Da habe ich mich entschlossen, mich mit diesem Thema zu befassen.«
»Mit anderen Mächten und dem Jenseits?«
»Wenn Sie es so ausdrücken wollen, habe ich nichts dagegen, Ludmilla.«
Die Russin senkte ihre Stimme. »Sie wissen, dass dies gefährlich ist, nicht wahr?«
»Das weiß ich.«
»Deshalb forschen Sie niemals weiter. Ich habe mich schon zu weit vorgewagt. Meine Karten haben es mir gezeigt. Ich habe aus ihnen gelesen, dass eine große Gefahr in dieser Stadt lauert. Man muss sich ihr stellen, ob man will oder nicht. Wenigstens die Personen, die unmittelbar damit zu tun haben, und dazu gehöre ich.«
»Wieso?«
Ludmilla lächelte etwas mokant. »Ich bitte Sie, Mrs. Goldwyn. Ich lese in den Karten. Sie berichten mir eine Geschichte. Sie erzählen von Dingen, die zwischen den Welten liegen. Siebesitzen die magischen Sensoren, um in die Zukunft schauen zu können oder eine Gefahr zu erkennen, die bereits in der Gegenwart lauert.« Die Russin hatte ihre Stimme verändert und sie zu einem Flüstern gesenkt. Deshalb musste sie jedes einzelne Wort überdeutlich aussprechen, und es hörte sich an wie eine schaurige Warnung. Hinzu kam dieser harte Dialekt, der ihrer Stimme einen seltsamen Klang gab,
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