0404 - Karten des Unheils
Sie war ungefähr fünfzig. Ihr kurzes Haar war grau; ein violetter Schimmer schien hineingefärbt worden zu sein. Am Gesicht der Kartenlegerin fiel eigentlich kaum etwas auf. Es war nichtssagend und blass. Die Wangen und die Lippen waren schmal, die Nase stach spitz hervor.
Ein Durchschnittstyp eben, eine Frau, die man auf der Straße leicht übersah, wenn sie einem entgegenkam.
Ihr Lächeln war abwartend, geschäftsmäßig, freundlich und auch interessiert. Als Kunde konnte man Vertrauen zu dieser Frau haben, und darauf kam es ihr wohl an. »Ich freue mich, dass Sie den Weg zu mir gefunden haben, Mrs.…«
»Goldwyn, Sarah Goldwyn.«
»Ja, Mrs. Goldwyn. Wie gesagt, ich freue mich darüber. Nicht jeder schafft es.«
»Sie liegen ein wenig versteckt.«
»Ich will auch deshalb ausziehen. Irgendwann. Aber ich habe mich an die Gegend gewöhnt. Doch das sind nicht Ihre Probleme. Sie werden andere haben. Ich will Ihnen meine Preise nennen. Das normale Legen der Karten kostet…«
Lady Sarah unterbrach die Frau mit einer Handbewegung. »Bevor Sie sich falsche Hoffnungen machen, Mrs. Prokowa.«
»Sagen Sie Ludmilla.«
»Natürlich gern. Ich bin nicht zu Ihnen gekommen, um mir von Ihnen die Karten legen zu lassen.«
»So?« Jetzt keimte schon Misstrauen in der Frage. Die Kartenlegerin lehnte sich zurück. Ihre Hände strichen dabei über zwei noch verschlossene Kartenpakete, bevor sie die Ärmel ihres blassroten Pullovers nach unten zog, den sie über ihr Wollkleid gestreift hatte. »Was hat Sie dann zu mir geführt? Wollen Sie schnüffeln oder…?«
»Nichts dergleichen, Ludmilla. Ich möchte Ihnen nur ein paar Fragen stellen.«
»Sie sind doch nicht von der Polizei?« fragte die Russin mit spöttischer Stimme.
»Nein, das nicht.«
»Dann kostet es Geld.«
»Sie sollen entlohnt werden, das verspreche ich Ihnen, und ich werde Sie auch sicherlich nicht lange aufhalten, aber es geht da um eine Sache, die mich interessiert und die ich gefunden habe. Einen Augenblick noch, Ludmilla.« Lady Sarah öffnete ihre Handtasche.
Sie hatte den Zeitungsausschnitt zusammengefaltet und musste ihn erst suchen. »Ah, da ist er,« sagte sie und lachte leise. Sie faltete ihn auseinander. »Er stammt aus einer esoterischen Schrift, die ich abonniert habe.«
»Welcher Artikel ist es denn, Mrs. Goldwyn? Ich habe für diese Zeitschrift schon mehrere geschrieben.«
Lady Sarah holte die Brille hervor und setzte sie umständlich auf.
Dabei lächelte sie und nickte. Die Kartenlegerin konnte ihre Spannung nicht verbergen. Sie saß irgendwie lauernder auf ihrem Platz als noch Minuten zuvor.
»Wenn Sie die Überschrift des Artikels vorlesen, wird das reichen,« sagte die Frau.
»Das hatte ich auch vor. Hören Sie: Das Erbe des Götzen Baal befindet sich unter uns. «
***
Ich erlebte die Momente im Leben eines Menschen, wo er sich fragt, ob jetzt alles vorbei ist. Zwei bewaffnete, zu allem entschlossene Gegner waren einfach zu viel für mich. Außerdem lag ich in einer ehemaligen Verbrennungsgrube und war so gut wie wehrlos.
Ein schwerer Eisenrost klemmte mich ein. Mit seiner Schmalseite drückte er gegen meinen Leib. Er stand schräg und wurde von der Grubenmauer gehalten.
Den ersten Schrecken und einen Kampf mit Kamikaze hatte ich bereits hinter mir. Dem Killer war es trotz seiner gefesselten Hände gelungen, einen Balken zu packen undmir dieses noch glühende Teil auf die Schulter zu schlagen. Auch mein Kopf war dabei nicht verschont geblieben.
Okay, den Treffer hatte ich wegstecken können, war aber in die Grube gefallen, und es sah verdammt nicht danach aus, dass ich es schaffen konnte, aus eigener Kraft zu entkommen.
Licht war jedenfalls vorhanden. Ich hatte eine starke Taschenlampe mitgebracht. Sie lag auf dem Boden, brannte dort weiter, und ihr Strahl stach wie eine lange, helle Lanze in die Finsternis der ehemaligen Verbrennungskammer.
Er berührte die beiden Männer nicht, ließ sie aber auch nicht im Schatten, sodass ich ihre Umrisse erkennen konnte, wenn ich entweder nach rechts oder nach links schaute.
Rechts von mir stand Akim Samaran, links hielt sich Kamikaze auf, der jetzt seinem Herrn und Meister das Feld überlassen hatte.
Noch deutlich irrten die letzten Worte Akim Samarans durch meine Erinnerung. »Das Feuer hast du durch dein Kreuz abwehren können, dem Dolchstoß wirst du nicht entgehen!«
Es sah verdammt so aus, als sollte er Recht behalten, denn Samaran bereitete sich genüsslich auf den Mord vor. Die
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