Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0404 - Tod im Schlangensumpf

0404 - Tod im Schlangensumpf

Titel: 0404 - Tod im Schlangensumpf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Kurt Giesa
Vom Netzwerk:
Nachtschwärmern den Weg zum billigen oder weniger billigen kurzen Glück.
    Die kleine Kellerwohnung bestand aus drei Zimmerchen, immerhin einer eigenen Toilette und einer behelfsmäßig eingerichteten Küche. Doch zu dieser Stunde war nur eines der drei Zimmer belegt – jenes, in dem eine karge 60-Watt-Birne in der nackten Deckenfassung gerade genug Licht verbreitete, um die schlichte Einrichtung erkennen zu lassen und durch die Ritzen der Pappscheiben am Fenster nach draußen zu verraten, daß jemand zu Hause war.
    Dunkle, schlanke Hände berührten einen eigenartigen Gegenstand. Graue Augen betrachteten dessen seltsame Reaktionen, Finger ertasteten schwaches Vibrieren und eine leichte Erwärmung. Der achtundzwanzigjährige Neger mit halblangem schwarzem Haar trug Turnschuhe mit weichen, lautlosen Sohlen, mehrfach geflickte Jeans und ein offenes, schreiend buntes Hemd, dessen Ärmel er bis zu den Ellenbogen hochgerollt hatte. Er saß an einem einfachen Holztisch, und vor ihm lag eine silbern schimmernde, handtellergroße Scheibe zwischen seinen Händen. In ihrer Mitte zeigte sich ein stilisierter Drudenfuß, umgeben von den zwölf Tierkreiszeichen, und den äußeren Rand bildete ein Band mit eigentümlichen Hieroglyphen, wie sie kein lebender Mensch zu lesen vermochte. An einer kleinen Doppelöse befand sich eine dünne Silberkette, mit der man die kreisförmige Scheibe vor der Brust tragen konnte.
    Etwas war aus den Fugen geraten.
    Seit jenem Moment vor einigen Tagen, als die Scheibe plötzlich grell aufleuchtete und von ihr der Eindruck einer großen, schwarzen Wolke ausging, die über allem schwebte, sich langsam niedersenken wollte – und dabei in verzweifelter Wut und wildem Schmerz schrie!
    Jetzt reagierte sie wieder auf irgend etwas. Der mittelgroße, drahtige Neger starrte die Scheibe an. Seine Finger glitten über die seltsamen Schriftzeichen. Er fühlte, daß da etwas war, das Kontakt zu seinem Geist suchte. Er spürte es mit jenen Sinnen, die vor Jahrhunderten seine Vorfahren in ausgeprägterer Form besessen hatten und die verkümmerten, als die Sklaven in die Neue Welt verschleppt wurden. Irgend etwas davon war in dem Neger wieder erwacht, aber er konnte es sich nicht erklären.
    War es erwacht, seit er diese Scheibe besaß? Dieses silbern schimmernde Amulett, um das ihn viele beneideten? Aber alle Neider wußten, daß sie es ihm nicht stehlen konnten. Das hatte noch keiner geschafft.
    Welchen Wert es besaß, wußte er nicht. Er hatte es einmal schätzen lassen wollen, aber viel war dabei nicht herausgekommen. »Es ist kein Silber«, hatte der Mann ihm fachkundig erklärt, der mit Hehlerei seinen Lebensunterhalt bestritt und sich in Juwelen und Schmuck bestens auskannte. »Es ist irgend etwas, das wie Silber aussieht. Ich müßte ein Stück davon abschaben und es analysieren.«
    Aber das hatte Yves Cascal nicht zugelassen. Er wollte nicht, daß dieses wunderschöne Kunstwerk beschädigt wurde. Es war zu seinem Talisman geworden. Seit er es besaß, gelang ihm alles, was er anfaßte, mehr oder weniger. Es war, als zeigte ihm dieser Talisman die Stellen, wo er Beute fand, ohne Risiken eingehen zu müssen.
    Er wußte nicht, ob er froh darüber sein sollte oder nicht. Er mußte aufpassen, daß seine Wachsamkeit nicht einschlief. Das war gefährliche…
    Yves Cascal hatte immer auf der anderen Seite der Straße gestanden. Als er dreizehn Jahre alt war, kamen seine Eltern ums Leben, und er hatte nie erfahren, wie das geschehen war. Seit damals hatte er zwei jüngere Geschwister zu versorgen, und das tat er auch heute noch. Er hatte gelernt, Verantwortung zu tragen, er hatte gelernt, in einer Welt zu überleben, in der es nur gute Sieger und böse Verlierer gab. Manchmal fand er Arbeit, aber nie für lange Zeit. Zu hungern hatten er und seine Geschwister nie gebraucht; es fand sich immer hier und da ein herrenloses Stück Brot, ein Apfel, ein paar Bananen. Oder er stolperte über eine verlorene Brieftasche, die er dann ohne das darin befindliche Geld zurückließ. Raubzüge und Diebstähle in eigentlicher Form führte er nicht durch. Manchmal erfuhr er wohl davon, daß jemand einen guten Coup gelandet hatte, und für sein Schweigen wurde er bezahlt. Davon konnten die drei Cascals halbwegs leben. Zweimal hatte er es vor ein paar Jahren fertiggebracht, jemanden zu überfallen, als sich absolut nichts anderes finden ließ. Das erste Mal hatte er einen verängstigten Nachtschwärmer mit Hilfe einer

Weitere Kostenlose Bücher