0406 - Finale in der Knochengrube
war längst verstorben, von der offiziellen Historie wurde er auch totgeschwiegen, aber wenn man hinter die Kulissen schaute, fand man Spuren.
Viel war über ihn bekannt.
Besonders in dieser Gegend, wo er gewirkt und seine Spuren hinterlassen hatte. Es war davon gesprochen worden, dass er sich die Kraft aus den Sümpfen holte, deshalb musste hier etwas sein.
Zwar hatte sie es bisher nicht entdecken können, aber der Drang, es zu finden, war immer stärker geworden. Auch die Tatsache, dass eine Entscheidung bevorstand, konnte sie nicht leugnen.
Und so wartete sie.
Mehrere Tage schon hatte sie sich in der Hütte verkrochen. Es mangelte ihr an nichts. Sie hatte sich mit Proviant eingedeckt, konnte essen und trinken, überlegen und darauf warten, dass sich ihr die Umgebung offenbarte.
Noch hatte sich nichts getan, aber der Sprung war nicht mehr weit. Sie spürte mit jeder Faser ihres Körpers, dass sie dicht vor dem Ziel stand, und sie hatte auch die Botschaft vernommen, die ihr zugetragen wurde.
Sie kam aus den Sümpfen.
Es war ein Hauch gewesen, ein Atem, der nach Fäulnis roch, der den Tod mitbrachte und von Lara trotzdem so sehr gewünscht wurde. Sie hatte manchmal das Gefühl, als würde sie die Stimme ihrer Mutter hören, die klagend über den Sumpf strich.
Dass Ludmilla Prokowa längst tot war, wusste sie nicht. Lara glaubte sie noch immer im Westen, wo sie bestimmt ihre Forschungen fortsetzte.
Aber hier in den Sümpfen konzentrierte sich alles, da lagen die echten Spuren verborgen.
Nein, es war kein totes Land, über das ihr Blick glitt. Der Sumpf lebte.
Zahlreiche Tiere hatten sich ihn als Heimat ausersehen. Eine ebene, grünbraune Fläche, bewachsen mit Kniehohen Gräsern, die sich, wenn der Wind über sie hinwegfuhr, verbeugten, als hätten sie Ehrfurcht vor den Kräften der Natur.
Auch gegen ihren Körper wehte der Wind. Er bauschte den langen Rock auf und wühlte in ihrem dunklen Haar. Lara ließ sich gern auf diese Art und Weise liebkosen, besonders dann, wenn die ersten Dunstschwaden sie umfingen wie hauchdünne Leichentücher. Sie ging den schmalen Weg entlang, stemmte den Kopf gegen den Wind, nahm die Gerüche der Landschaft auf und ließ sich einfach treiben.
Manchmal, wenn sie die Augen schloss, hatte sie das Gefühl, nicht mehr auf dem Boden zu stehen, sondern hinwegzusegeln in eine aus Wolken gebildete Ferne, die ein Reich begrenzten, wo die alten Märchen wahr wurden.
Dann hörte sie sich selbst sprechen und nach ihrer Mutter rufen. Ohne dass sie es wollte, floss oft genug der Name Rasputin über ihre Lippen.
Er war Dreh- und Angelpunkt!
Hier im Sumpf hatte er gelebt, möglicherweise dort, wo ihr Haus stand.
Er hatte das Kloster verlassen, um sich mit Dingen zu beschäftigen, die für ihn viel interessanter waren.
Den Tod hatte er überwinden wollen.
Lara war gläubig erzogen worden. Sie konnte es sich nicht vorstellen, dass es ein Mensch schaffte, den Tod zu überwinden, aber Rasputin war ein besonderer Mensch gewesen, der immer eigene, unbekannte Wege gegangen war.
Und er musste etwas entdeckt haben. Vielleicht nicht die Überwindung des Todes, niemand konnte sich vorstellen, dass er aus dem Grab zurückkehrte. Aber einen anderen Erfolg hatte er sicherlich erreicht, sonst hätte er sich nicht so lange in dieser Gegend aufgehalten.
Lara spürte, dass da einiges nicht stimmte. Der Sumpf barg ein Geheimnis. Was sich unter seiner Oberfläche befand, konnte sie jedoch nicht sagen.
Auf entsprechende Fragen hatte sie stets ein Achselzucken geerntet oder ängstliche Blicke, die sie davor warnten, noch weitere Fragen zu stellen oder möglicherweise nachzuforschen.
Je ernster diese Blicke geworden waren, umso mehr gegenteiligen Erfolg hatten sie erreicht. Jetzt war es Lara, die ebenso fühlte wie damals Rasputin. Der Sumpf war für sie eine zweite Heimat geworden. Hier konnte sie sich zu Hause fühlen, und hier hatte sie das Gefühl, mit einem Stückchen Ewigkeit konfrontiert zu werden.
Der Sumpf wurde vom Hauch des Vergessens umweht. Auf einigen trockeneren Inseln wuchsen Bäume. Sie streckten ihre jetzt blattlosen Arme wie braune Totenfinger in alle Richtungen. Manchmal kamen sie dem Mädchen anklagend vor, als wollten sie sich über die absterbende Natur beschweren.
Es war schon eine besondere Gegend, die sie sich ausgesucht hatte. Oftmals verändert von einem Augenblick zum anderen. Dann nahm sie jeweils einen bedrohlichen Anblick an.
So auch jetzt.
Lara stand da und schaute
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