0406 - Finale in der Knochengrube
auch hier stand der Winter vor der Tür.
Im Hintergrund standen ein paar Gebäude. Nicht mehr als Baracken. Ihre Dächer wirkten auf mich so, als würden sie vom nächsten Sturm davongetragen werden.
Wladimir Golenkow trat mit ausgebreiteten Armen auf uns zu. »Das ist Väterchen Russland«, sagte er. »Willkommen in meinem Heimatland.«
»Oder am A… der Welt«, fügte ich hinzu.
Der KGB-Mann lachte. Er hatte während des Flugs sogar geschlafen.
»So dürft ihr das nicht sehen, Freunde. Es gibt viel einsamere Gegenden, glaubt mir.«
»Wo wollen wir hinwandern?«, fragte die Horror-Oma ungeduldig.
»Zur nächsten Ansiedlung.«
»Wie weit ist die entfernt?«, wollte Suko wissen.
»Nicht sehr weit. Wir können einen Wagen nehmen. Kommt mit, ich habe einiges vorbereitet.«
Es stand tatsächlich ein Fahrzeug bereit. Ein Mann in Uniform begrüßte uns sehr freundlich und umarmte Lady Sarah sogar. Er war der Kommandant dieses Flugplatzes und ein Bekannter von Golenkow, wie er uns glaubhaft versicherte.
Was den alten VW-Käfer in diese Einöde verschlagen hatte, wusste wohl nur der Wagen selbst. Und den konnten wir nicht fragen.
»Einsteigen«, sagte Wladimir.
Suko und Lady Sarah quetschten sich in den Fond. Die alte Dame hatte darauf bestanden, weil ich mit meinen langen Beinen vorn Platz nehmen sollte.
Dann ging es los. Wir rollten über eine Piste, die nur aus Gras und Lehmbuckeln bestand.
Flach, bretteben war die Wiesenlandschaft. Hin und wieder sahen wir Wälder. Sie bildeten einen regelrechten Wall in der Ferne, und davor wälzte sich der breite Strom durch sein Bett.
Nach einer guten halben Stunde Fahrt entdeckten wir die ersten Dächer und den Turm einer Kirche, der stolz in den klaren Himmel ragte.
»Befindet sich hier die Knochengrube?«, fragte ich den Fahrer.
Er nickte. »Nicht weit entfernt, jenseits des Dorfes, macht die Wolga eine Schleife. Zudem zweigen dort einige Nebenarme ab. Nur sehr schmal sind sie und auch nur auf Spezialkarten aufgezeichnet. Das ist ein Sumpfgebiet. Dichter Nebel erschwert häufig die Orientierung.«
»Leben dort Menschen?«
»Ja. Einige Familien haben sich dorthin zurückgezogen. Sie leben vom Torfstechen. Alles noch Handarbeit. Nebenbei flechten sie Weidenkörbe, die in den Städten sehr begehrt sind.«
Wir hatten den Ausführungen unseres russischen Begleiters interessiert zugehört und dabei gar nicht bemerkt, dass wir bereits am Dorf eingang angelangt waren.
Mir gefiel ein alter Ziehbrunnen, der auf einem Feld stand und mich an die Puszta erinnerte. Ein Stück Nostalgie im größten Land der Erde.
Die Straßen waren nicht gepflastert. Die Häuser waren nicht hoch, ihre Dächer zeigten eine Bedeckung aus Geflecht und Gras.
Nur ein Haus stach von den anderen ab. Auf seinem Dach wehte die rote Fahne mit Hammer und Sichel.
»Müssen wir uns dort anmelden?«, fragte Lady Sarah.
»Ich erledige das schon«, sagte Wladimir und stoppte den Käfer, dessen Motor knatternd auslief.
Wir verließen den Wagen, reckten uns, atmeten die frische Luft ein und verzogen wenig später die Nasen, als ein mit Jauche beladener und von einem struppigen Pferd gezogener Wagen an uns vorbeirollte. Der Bauer, der das Pferd führte, schien der Methusalem des Dorfes zu sein. In seinem Gesicht »klebte« ein pfiffiges Grinsen.
Der Parteibonze wusste bereits Bescheid. Er wirkte väterlich und trug seinen dicken Bierbauch vor sich her. Wladimir Golenkow wurde respektvoll behandelt und wir ebenfalls.
Die beiden unterhielten sich eine Weile, man bot uns einen Schluck Schnaps an, der uns Tränen in die Augen trieb. Es war ein klarer Wacholderschnaps.
»Wann geht es weiter?«, fragte ich, als ich das Glas abstellte.
»In ein paar Minuten.«
»Hat es etwas Neues gegeben?«
»Das kann man wohl sagen. Und es scheint mit unserem Fall zusammenzuhängen.« plötzlich waren wir ganz Ohr, und Golenkow sprach weiter. »Neulich war jemand von der Familie Karpow hier. Ihr Pflegekind Lara ist verschwunden.«
»Ein Kind?«, wiederholte Lady Sarah.
»Ja, ein junges Mädchen. So um die zwanzig. Die ist damals von der Familie aufgenommen worden, als die Mutter sie verließ. Außerdem ist sie unehelich. Im Mittelalter hätte man sie als Hexe bezeichnet.«
»Hexen gibt es auch heute noch«, bemerkte Suko. »Aber echte. Nicht zu vergleichen mit den bedauernswerten Geschöpfen, die damals hingerichtet wurden.«
Wladimir grinste. »Hier glauben die Leute noch an Hexen und an Naturgeister.«
»Und an
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