0406 - Mörder-Medium
rückwärts, stieß gegen eine Tischkante und ließ sich in den Sessel zurücksinken. Sie schloß die Augen.
»Also gut. Fangen wir noch einmal an…«, murmelte sie.
***
»Das führt doch zu nichts«, murmelte Major Leonid Sewjestin verdrossen. Der kleine Monitor zeigte ihm Tokolevs Büro, in dem die Unterhaltung stattfand. Seit dem Fiasko waren rund fünf Stunden vergangen. Lena Petrowna trug wieder ihre normale Kleidung. Das verwüstete Labor, in dem es zur Katastrophe gekommen war, war gesperrt. Die Experten, die jeden Quadratmillimeter untersuchen sollten, waren noch nicht eingetroffen. Derweil versuchte man, auf »normale« Weise herauszufinden, was sich abgespielt hatte. »Sie schreien sich an, sind wütend aufeinander und schaukeln ihre Emotionen gegenseitig hoch. Das geht doch nicht.«
Hauptmann Arkadi Gruszenko, der ebenfalls zum KGB-Team im Bereich Parapsychologie gehörte, zuckte mit den Schultern. »Tokolev ist doch sehr ruhig.«
»Schauen Sie genau hin. Sehen Sie, wie seine Lider zucken? Er ist gereizt. Noch kann er sich beherrschen, aber wenn die Petrowna ihn weiter so reizt, wird er explodieren. Es hat keinen Zweck. Gehen Sie hin und brechen Sie das Gespräch ab. Es führt zu nichts. Wir übernehmen das.«
»Das wird aber vor allem Tokolev nicht gefallen.«
»Das ist mir egal. Es ist längst nicht genug Zeit vergangen. Sie stehen beide noch unter dem Eindruck des Geschehens. Es war ein Fehler, anzunehmen, daß das ihre Erinnerungen beflügeln würde. Sie können oder wollen sich nicht erinnern. Statt dessen tauchen Schuldkomplexe und Aggressionen auf. Nein, die Untersuchung muß von Unbeteiligten geführt werden, und wir werden Tokolev ebenso in die Mangel nehmen, wie wir das Medium befragen.«
Er dachte an die Möglichkeit, die sich ergaben. Sollte es möglich werden, daß das Medium sein Ektoplasma zu steuern, zu beherrschen lernte, konnten damit feindliche Agenten ausgeschaltet werden, ohne daß eine Waffe nachweisbar war. Konnte das Ektoplasma ohne Schlüssel Türen öffnen, durch Schlüssellöcher dringen, Akten kopieren, ohne daß Spuren zurückblieben… es waren atemberaubende Möglichkeiten. Um das zu erreichen, war kein Preis zu hoch. Es gab Tausende von Möglichkeiten, PSI als Waffe einzusetzen.
Diese Waffe durfte nur niemals nach hinten losgehen. Und sie mußten wissen, warum sie das diesmal getan hatte…
***
Lena Petrowna schwieg verbissen. Das Gespräch mit Dr. Tokolev, das sie schon als unverschämtes Verhör bezeichnete, hatte sie sich gerade noch widerwillig gefallen lassen. Aber sie weigerte sich, mit Major Sewjestin zu reden.
»Wenn Sie sich weiterhin unkooperativ zeigen, könnten Sie sich Schwierigkeiten einhandeln«, warnte Sewjestin.
»Natürlich. Man droht. Was werden Sie tun? Mich foltern? Mich standrechtlich erschießen lassen?« schrie sie ihn an. »Verschwinden Sie! Lassen Sie mich in Ruhe!«
»Sie sind verpflichtet, zu antworten. Sie haben einen Eid geschworen«, erinnerte er ruhig. »Vielleicht denken Sie darüber nach. Morgen sieht alles bestimmt schon ganz anders aus. Sie erhalten Zeit, sich zu erholen und sich darüber klar zu werden. Dann werden wir uns weiter unterhalten.«
»Darauf können Sie lange warten«, fauchte sie.
Sewjestin lächelte. »Bitte… Sie können Ihre Unterkunft aufsuchen oder sich in einem Erholungsraum entspannen. Ich habe jetzt zu tun.« Er wies zur Tür.
Verblüfft ging sie. Erst als sie draußen auf dem Korridor war, wurde unklar, daß das Verhör für heute beendet war, daß sie jetzt tatsächlich Ruhe haben würde.
Zumindest äußerlich. Innerlich war sie nach wie vor aufgewühlt. Die Katastrophe machte ihr zu schaffen. Sie wußte nicht, was sich konkret abgespielt hatte. Sie war in Trance gewesen, ohne direkten Kontakt zur Wirklichkeit. Sie war plötzlich aus dieser Trance herausgerissen worden, völlig überraschend, und hatte das Chaos um sich her gesehen. Der zerstörte Tisch, zerstörte Mikrofone, die Flammen, die aus einer Wandöffnung schlugen, hinter der eine Kamera explodiert war… der zusammengebrochene Dr. Wassil Tokolev… Andrezej Retekin, dessen Kopf in einem so unmöglichen Winkel zum Körper lag… und sie hatte geschrien in ihrer Panik. Und dann waren andere gekommen. Wissenschaftler, Assistenten, Kameraleute. Feuerlöscher hatten gezischt, und alles verschwamm vor ihren Augen zu einem verwirrenden Spektakel, das sie auch jetzt nicht zu durchblicken vermochte. Sie begriff nichts. Sie hatte sich noch nicht
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