0408 - Der Gespenster-Galgen
machen, und dabei erfolgreich sind, könnte es alles hinhauen«, überlegte Zamorra. »Wir sind zwar derzeit finanziell nicht mehr ganz so flüssig wie vor ein paar Jahren, aber das ist eine unterstützenswerte Sache. Es wird schon genug kaputtgemacht auf der Welt. Da brauchen sie hier nicht auch noch Hacke und Schaufel und Bagger anzusetzen. Wie können Menschen nur so verrückt sein…«
Nicole zuckte mit den Schultern.
Sie hatten Roanne erreicht, und sie überquerten die Loire mit ihrer — noch vorhandenen - ›Traumlandschaft‹, um nach Nordwesten weiterzufahren.
Nach einem kleinen Dorf dazwischen tauchte Lapalisse auf, und Nicole wechselte auf die direkte Straße nach Le Donjon über. Zamorra entsann sich, daß sie in Lapalisse auch schon einmal zu tun gehabt hatten. Aber er wußte nicht mehr, worum es dabei gegangen war. Es war auch gleichgültig. Jetzt mußten sie sich um einen Galgen kümmern, der mitsamt dem Delinquenten spurlos verschwunden war.
Er hatte Nicole überreden können, mitzumachen. Sie war zwar nicht ganz von der Notwendigkeit überzeugt, aber die zärtlichen Stünden hatten sie ›milde‹ gestimmt. Und natürlich, hatte sie gesagt, wollte sie verhindern, daß Zamorra den Wagen beschädigte. Da wollte sie lieber selbst am Lenkrad sitzen…
Seine Proteste, daß schließlich nicht er die Schuld an der Zerstörung zweier Fahrzeuge trug — den möbius’schen Supertechnik-Mercedes hatte das Schicksal in einer Zeitverschiebungsfalle ereilt, und der 560 SEL hatte seinen Motor durch das Einwirken eines Poltergeistes verloren -, waren diesmal nur halbherzig. Schließlich hatte er Nicole gern dabei. Schon deshalb, weil vier Augen mehr sahen als zwei und Nicole auch so etwas wie sein Zusatzgedächtnis war. Aus den Dialogen zwischen ihnen waren schon oft die verblüffendsten Ideen und Lösungen erwachsen.
Während Nicole fuhr, genoß Zamorra die Landschaft.
»Wohin müssen wir überhaupt?« erkundigte sie sich. »Le Donjon ist zwar ein genau definierter Punkt auf der Landkarte, aber der Galgen hat ja, wenn es ihn gab, nicht mitten auf dem Dorfplatz gestanden. Da war doch von einem Hügel in freiem Gelände die Rede. Und davon gibt’s hier eine ganze Menge…«
»Wir werden das Mädchen fragen«, sagte Zamorra.
Ursprünglich hatte er beabsichtigt, bei der Polizei nachzufragen. Aber dieser Kommissar Fountain von der Mordkommission Roanne war ihm unbekannt. Früher hatte er mit anderen Beamten zu tun gehabt. Aber von denen tat inzwischen keiner mehr hier Dienst. Versetzt oder pensioniert. Und Zamorra hatte nicht vorgehabt, sich den Tag durch endlose Grundsatzdiskussionen mit ihm fremden Kriminalbeamten zu verderben, die schon von Amts wegen nicht an übersinnliche Dinge glauben durften.
Sofern hier Übersinnliches im Spiel war.
Doch davon war Zamorra überzeugt. Sein sechster Sinn hatte ihn nur in den seltensten Fällen angenehm enttäuscht.
»Weißt du, wo die Kleine wohnt?« erkundigte sich Nicole. Sie reckte einen Arm aus dem offenen Fenster und lenkte mit der Handfläche als Windschaufel Frischluft ins Wageninnere.
»Ihr Name wurde erwähnt. Das wird reichen. Wir fragen uns durch.«
»So stellt sich der kleine Fritz die Arbeit des Superdetektivs vor«, spöttelte Nicole.
Zamorra seufzte. »Wir haben schon unter viel schwierigeren Bedingungen Informationen gesammelt«, sagte er.
»Da war ich auch mit Lust und Liebe bei der Sache«, versetzte Nicole. »Heute bin ich mit Lust und Liebe nur für eine ganz andere Sache zu erwärmen. Aber dafür sollten wir schon zu zweit allein bleiben…«
Er lachte leise. »Du bekommst heute wohl nicht genug, wie?«
Nicole lächelte ihn an. »Von dir bekomme ich nie genug, das weißt du doch. Und das Wetter bringt mich erst recht in Stimmung. - Schau dir mal das Unikum da drüben an.«
Zamorra sah in die angegebene Richtung. Von einem Feldweg kommend wollte ein paar Dutzend Meter vor ihnen ein seltsames vierrädriges Fahrzeug auf die Straße nach Le Donjon einbiegen. Auf den ersten Blick glich es einem überdimensionalen Marienkäfer. Der zweite Blick, aus schon geringerer Distanz, verriet, daß es sich um ein entsprechend bunt lackiertes Fahrzeug vom Typ Citroën 2 CV handelte, im Volksmund profan ›Ente‹ genannt. Der dritte Blick beim Vorbeifahren ließ an der Windschutzscheibe das deutlich sichtbare Klappschild ›Presse‹ erkennen.
»Halt mal. Den stoppen wir«, sagte Zamorra spontan.
»Wozu?« wollte Nicole wissen. Der BMW zog zügig davon.
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