0408 - Der Gespenster-Galgen
zum Château zurück fahren und diese Nacht ungenutzt verstreichen ließen. Dann könnte der Bursche dort warten, bis er schwarz wird.«
»Aber du bist dir nicht sicher, ob das nicht ein Fehler wäre, nicht?« überlegte Nicole. »Du befürchtest, daß der Galgen wieder auftaucht oder daß sonst etwas Bedrohliches geschieht.«
Zamorra nickte in der Dunkelheit.
»Der Galgen hat eine bestimmte Bedeutung. Jemand bezweckt etwas damit. Das Amulett hat mir seltsame Schatten gezeigt, die aber nicht deutlich werden konnten. Ich fürchte, daß es wieder zu Zwischenfällen kommt. Mit etwas Pech wieder zu einem Mord.«
»Aber es ist außer uns niemand hier draußen, der aufgehängt werden könnte.«
»Und Mercier?«
»Außerdem ist in der vergangenen Nacht ja auch nichts geschehen«, gab Nicole zu bedenken. »Es gibt nur eines, was wirklich geschehen könnte: daß ich dir die Augen auskratze, weil wir den ganzen Tag verschwendet haben. Deshalb bin ich dafür, daß wir uns diesen Reporter vornehmen. Notfalls schleppe ich ihn irgendwohin, außerhalb deiner Reichweite, damit seine Aura dich nicht stören kann.«
»Auch ’ne Idee«, sagte Zamorra. »Immerhin werde ich ihn mit dem Amulett anpeilen können. Na, der kann sich freuen…«
Im gleichen Moment hörten sie aus der Ferne den lauten Schrei.
***
Plötzlich waren die Schatten da. Sie bewegten sich mit einer geradezu unglaublichen Geschwindigkeit. Weit schneller, als ein lebender Mensch es fertiggebracht hätte. Mit untrüglicher Sicherheit erstürmten sie Gaston Merciers Versteck zwischen den Sträuchern, die für sie kein Hindernis darstellten. Mercier wollte aufspringen, aber er schaffte es nicht mehr. Sie kamen von allen Seiten, die Angreifer, und er erhielt einen kräftigen Schlag auf den Kopf.
Er verlor für kurze Zeit die Besinnung.
Als er wieder erwachte, fand er sich auf einem Hügel wieder. Im ersten Moment erkannte er ihn nicht. Aber dann wurde ihm klar, wohin man ihn geschleppt hatte. Der Weg war nicht besonders weit gewesen…
Aber wer waren jene, mit denen er es zu tun hatte? Auch jetzt, aus nächster Nähe, sah er sie nur als wesenlose Schemen, aber die Hände, die ihn festhielten, waren recht kräftig und durchaus wirklich vorhanden. Das war etwas, das Mercier nicht begriff. Er versuchte sich loszureißen, aber es gelang ihm nicht. Sie hielten ihn fest, und einer schlug auf ihn ein. Ein wesenloser Schatten…
Mercier fühlte, wie seine Haare sich aufrichteten. Er empfand Abscheu vor den Schatten, je länger sie ihn festhielten. Auf eine Weise, die er nicht begriff, widerten sie ihn an. Sie richteten ihn auf. Und da —
- sah er den Galgen.
Ein Mann baumelte daran.
Gerade ließen die Schattenhaften ihn herunter. Der Leichnam stürzte ins Gras, die Schlinge um seinen Hals wurde gelöst.
»Belcaines… !« flüsterte Mercier. »Ist das Belcaines?«
Das Mondlicht reichte aus, ihn einen jungen Mann erkennen zu lassen. Aber er hatte nie ein Foto von Belcaines gesehen, und das Gesicht des Toten war angstverzerrt.
Hatten die Schemen ihn getötet?
Aber warum das alles? Und woher kam dieser Galgen? Er konnte nicht einfach aus dem Nichts erscheinen!
Mercier schluckte heftig.
Plötzlich legte ihm jemand den Strick um den Hals.
Fast blieb ihm das Herz stehen. Er, Gaston Mercier, sollte das nächste Opfer sein, das hier ermordet wurde!
Er wollte um sich schlagen, sich befreien, davonrennen. Aber seine Fäuste trafen nichts. Sie schlugen ins Leere. Und als er nach dem Strick greifen wollte, waren wieder die Hände der Schemenhaften da, packten zu wie Stahlklammern und hinderten den Reporter daran, sich befreien zu können.
Die Schatten zerrten ihn direkt unter den Galgen. Dann zog einer an dem Strick.
Gaston Mercier wußte, daß ihn hier draußen, weitab von jeder menschlichen Ansiedlung, niemand hören würde.
Trotzdem begann er zu schreien.
Es war das einzige, was er noch tun konnte, ehe die Galgenschlinge ihn erwürgte…
***
»Dieser verdammte Narr!« entfuhr es Zamorra. »Ich hatte ihn gewarnt.«
Unvermittelt rannte er los. Er hoffte, daß er noch etwas tun konnte, und daß der Weg von hier aus nicht zu weit war. Er hatte deutlich die Richtung festgestellt, aus der der Schrei kam — und alle weiteren. Ein Mensch befand sich in höchster Todesnot. Es war die Stimme des Reporters, fast zur Unkenntlichkeit verzerrt vor Angst und Entsetzen.
Noch während er rannte, öffnete er das Hemd und griff nach dem Amulett. Es begann kaum merklich zu
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