041 - Die Tür mit den 7 Schlössern
»Im schlimmsten Fall eine Ehefrau, mit der er sich in England nicht zeigen kann.«
Dick strich sich gedankenvoll über das Kinn.
»Haben Sie Briefe von ihm?«
Havelock nickte.
»Darf ich sie sehen?«
»Bitte«, erwiderte Havelock und deutete mit einer Kopfbewegung auf den Aktendeckel, den Dick noch immer in der Hand hielt.
Dick begann darin zu blättern.
Da waren Telegramme aus allen Teilen der Welt, hingeworfene Anweisungen, lange und kurze Briefe, handgeschrieben und in die Maschine diktiert.
»Es ist die Korrespondenz des letzten Jahres. Der gesamte Briefwechsel füllt zwei Fächer meines Aktenschranks aus!«
»Und Sie erkennen bestimmt in jedem Brief seine Handschrift wieder?«
»Selbstverständlich - ein Zweifel dieser Art ist mir nie gekommen. Es ist ganz ausgeschlossen, daß die Briefe gefälscht sind!«
Dick reichte ihm die Mappe zurück.
»Es tut mir leid, Mr. Havelock, daß ich so wenig Erfolg hatte. Aber ich glaube, man fängt eine Schwalbe eher als diesen jungen Lord. Über einen Punkt glaube ich Sie indessen beruhigen zu können. Eine Frau steckt diesmal bestimmt nicht dahinter. Er war allein in New York und allein in San Franzisko. Er landete in Shanghai ohne weiblichen Anhang, und in ganz Indien gesellte sich niemals eine Frau zu ihm. Wenn es sich irgend möglich machen läßt, bringen Sie mich bitte im August mit ihm zusammen!«
»Gern«, lächelte Havelock grimmig, »das heißt, wenn ich ihn lange genug festhalten kann!«
Dick verabschiedete sich und schlug gedankenvoll den Heimweg ein. In seiner Tasche trug er einen Scheck über einen sehr ansehnlichen Betrag als Honorar für seine Dienste, in seinem Kopf wälzte er ein Problem, das ihm zu schaffen machte. Heimgekommen, setzte er sich an den Schreibtisch, starrte auf die Platte, als stünde dort eine mathematische Aufgabe, und zerwühlte sich das Haar mit den Fingern. Nach einer halben Stunde eifrigen Grübelns glich seine Frisur dem Schopf eines Papuanegers, aber der Lösung seines Problems war er nicht um einen Schritt näher gekommen.
Er hatte alle Koffer ausgepackt bis auf einen, und dessen Inhalt leerte er jetzt auf den Schreibtisch. Eine Flut von Papieren ergoß sich. Da waren Notizblätter, Quittungen, Hotelrechnungen, Zeitungsabschnitte, und da war auch ein Bogen Löschpapier, den er mit beiden Händen aufhob und gegen das Licht hielt. Deutlich war jetzt der Abdruck einer Adresse darauf zu erkennen: Mr. Bertram Cody, Weald House, South Weald, Sussex.
Er hatte dieses Löschblatt auf dem Schreibtisch des Privatsalons gefunden, den der rastlose junge Lord achtundvierzig Stunden vor seiner Ankunft in Buenos Aires bewohnt hatte. Nach seiner Abreise hatte der Raum unbenutzt gestanden, bis Dick ihn sich vom Geschäftsführer des Hotels zeigen ließ.
Dick schloß das Löschblatt sorgfältig ein. Dann ging er in sein Schlafzimmer und stellte sich vor den Spiegel.
»Und du willst Detektiv sein, Dick Martin?« fragte er sein Spiegelbild. »Ein Hammel bist du, mein Lieber!«
Er verbrachte den Rest des Tages mit dem Einstudieren eines Kartentricks, den er unterwegs gelernt hatte. Man mußte es beim Geben der Karten so einrichten, daß die Deckkarte von oben verschwand und die neunte im Spiel wurde. Mit einer Stoppuhr übte er den Trick, bis die Unterschiebung in einer fünfzehntel Sekunde gelang. Er erhob sich befriedigt, um sein Auto aus der Garage zu holen.
8
»Führe ihn herein«, sagte Bertram Cody.
Er war ein kleiner, glatzköpfiger Herr mit einer sanften Stimme.
Umständlich schob er die goldene Brille auf die Nase und buchstabierte die Visitenkarte:
Mr. John Rendle
194, Collins Street, Melbourne.
Der Name sagte ihm nichts. Er hatte einen Rendle in vergangenen Jahren gekannt, einen sehr achtbaren Teehändler, aber die Bekanntschaft war so flüchtig gewesen, daß es sich um diesen Herrn kaum handeln konnte.
Er blätterte in einem kleinen Notizbuch, als der Besuch gemeldet wurde. Das Buch war in rotes Saffianleder gebunden und enthielt außer dem Notizpapier ein Fach für Briefmarken und ein zweites größeres für Banknoten. Als der Fremde über die Schwelle schritt, schob er das Buch unter einen Haufen Papiere.
»Mr. Rendle«, meldete die rauhe Stimme einer Frau, und aus dem Dunkel des in tiefe Schatten getauchten Raumes trat ein hochgewachsener junger Mann, der nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Teehändler hatte.
»Nehmen Sie bitte Platz«, sagte Bertram Cody freundlich. »Und entschuldigen Sie das Halbdunkel,
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